Markus Reisner „Die Schlacht um Wien 1945“ / Fotos: Schwendenwein (2), Rehberger, Scherz-Kogelbauer
Das Jahr 2025 ist in mehrfacher Hinsicht ein Gedenk- und Jubiläumsjahr. Das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955, der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 und die EU-Erweiterung 2005 sind Meilensteine der Geschichte, die bis heute in Österreich ihre Spuren hinterlassen haben – auch in der Region Bucklige Welt-Wechselland. Der „Bote“ begleitet dieses Gedenkjahr daher mit einer neuen Serie. Zum Auftakt wollen wir einen Überblick geben anhand der vorhandenen Literatur, denn es gibt wohl kaum eine Region, die die wechselhafte Geschichte des Landes anhand von Zeitzeugenberichten und Recherchen so gut dokumentiert hat wie die Bucklige Welt und das Wechselland.
Der Zweite Weltkrieg hat seine Spuren in der gesamten Region hinterlassen. Zeitzeugen, die weitergeben, wie die Menschen die schrecklichen Zeiten damals erlebten, gibt es heute nur mehr wenige. Ihre mahnenden Stimmen sollte man daher umso deutlicher wahrnehmen. Dieser Gedanke liegt in Katzelsdorf etwa auch Hannelore Handler-Woltrans Chronik „Die Jahre 1938 bis 1945“ zugrunde. Darin hat sie im damaligen Gedenkjahr 1995 – also vor 30 Jahren – eingeordnet, was der Krieg für Katzelsdorf und die Region bedeutete. Bei der Neuauflage 2015 wurde das Buch um Zeitzeugenberichte erweitert. „Gott sei Dank konnten wir ihre Erfahrungen damals festhalten. Heute lebt von ihnen nur noch meine Mutter“, erklärt die Bürgermeisterin a. D. im Gespräch mit dem „Boten“.
Geschichte aus erster Hand
Ein einzigartiges Zeitzeugen-Projekt war die „Lebensspuren“-Reihe des Buchteams rund um den Hochwolkersdorfer Historiker Johann Hagenhofer. In unzähligen Stunden kamen – wissenschaftlich begleitet – Zeitzeugen zu Wort, die ein Bild der damaligen Zeit zeichneten, das man sich in dieser Deutlichkeit zuvor nicht vorstellen konnte.
Neben den drei „Lebensspuren“-Bänden setzte Hagenhofer auch weiter auf Geschichtsvermittlung aus erster Hand. Mit dem Buch „Eine versunkene Welt – Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt-Wechselland“ wurde erstmals ein genauer Blick auf das dunkelste Kapitel der österreichischen Geschichte geworfen. In allen Gemeinden der Region forschten (Hobby-)Historiker und gaben so einen Einblick, was mit der jüdischen Bevölkerung vor, aber auch nach 1945 in der Region passiert ist.
Johann Hagenhofer „Eine versunkene Welt“
Bücher wie diese verdeutlichen, dass das, was in den Geschichtsbüchern zu finden ist, tatsächlich einmal real war. Als sich im Frühjahr 1945 die sowjetischen Truppen vom Osten her Österreich näherten und schließlich über Hochwolkersdorf in die Bucklige Welt kamen, musste die ohnehin bereits gebeutelte Zivilbevölkerung weiteres Leid ertragen. Über die Region erfolgte der Vormarsch der Roten Armee bis nach Wien, das sie am 15. April 1945 schließlich einnahm. „Dass die Rote Armee ihren Angriff über die Bucklige Welt startete, war damals eine Überraschung, denn man rechnete nicht damit, dass die Sowjets aus dieser Richtung kommen würden. Entsprechend gab es Kämpfe beim Weißen Kreuz in Krumbach und im heutigen Bad Erlach. Die Bucklige Welt spielte aber auch im Jahr 1955 eine entscheidende Rolle, als Karl Renner erste Gespräche mit den Russen in Hochwolkersdorf führte und später in Katzelsdorf am Entwurf des Staatsvertrags arbeitete“, so Johann Hagenhofer, der sich auch in seiner Autobiografie „Halterbub und Hofrat“ an viele Meilensteine der Geschichte erinnert.
Vom Leben erzählt
Wie sehr diese Geschehnisse die Menschen in der Region geprägt haben, wird auch in den Gedichten und Kurzgeschichten der Pittener Autorin Herta Hoffmann deutlich. Sie kam 1933 zur Welt und hat die Wirren des Zweiten Weltkrieges hautnah erlebt. „Ich war 12 Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. Bei Fliegeralarm haben wir uns mit den anderen Leuten aus dem Ort auf den Weg gemacht, um Schutz zu suchen. Als Wiener Neustadt das erste Mal bombardiert wurde, waren wir noch unter freiem Himmel und haben die Flugzeuge glänzen sehen.“ Diese und weitere prägende Erfahrungen aus der späteren Nachkriegszeit sind Inspiration für Hoffmanns Texte gewesen.
Herta Hoffmann „Es war doch erst Frühling“
Perspektivenwechsel
Vieles, das man in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg aus Zeitzeugenberichten erfährt, wird noch besser verständlich, wenn man eine andere Perspektive einnimmt. Das gelingt etwa durch die Lektüre von Markus Reisners 2020 erschienenem Werk „Die Schlacht um Wien 1945“, in dem er einen historischen Lückenschluss vollbracht hat. Der aus Klingfurth stammende Reisner hat darin die Geschehnisse vor 80 Jahren aus Sicht der Sowjetunion betrachtet – unter Verwendung von Originalmaterial aus dem russischen Staatsarchiv. Darin lässt er rund 40 russische Zeitzeugen selbst die Ereignisse in den letzten Monaten des Krieges erzählen. Der Historiker und nunmehrige Institutsleiter an der Militärakademie in Wiener Neustadt hat damit den russischen Soldaten ein Gesicht gegeben und aufgezeigt, was Krieg mit den Menschen macht – egal, auf welcher Seite man steht.
Jüngere Geschichte
Weniger gut dokumentiert sind die Meilensteine der jüngeren Geschichte, obwohl sie insbesondere in der Buckligen Welt ihre Spuren hinterlassen haben. Vor 30 Jahren wurde Österreich Mitglied der Europäischen Union und seit 25 Jahren werden in der Leader-Region durch EU-Förderungen für die Entwicklung des ländlichen Raums Projekte umgesetzt. Viele Buchprojekte die sich mit diesen historischen Themen befassen, wurden erst dadurch ermöglicht. Einen Einblick in die jüngere Geschichte der Region bietet das Buch „Wir waren Triumph“, das vom Aufstieg der Unterwäsche-Fabrik in der Region erzählt, als hier die Arbeitskräfte noch „billig“ waren – und dem Ende vor rund 15 Jahren.