Ortsansicht von Hochwolkersdorf aus dem Jahr 1938 / Fotos: Gedenkraum 1945 Hochwolkersdorf (2), Sammlung Johann Hagenhofer
Das heurige Gedenkjahr 80 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs, 70 Jahre Republik und 30 Jahre Beitritt zur Europäischen Union ist eine gute Gelegenheit, um auf die Hintergründe zu blicken, warum sich manches so entwickelt hat, wie wir es heute aus den Geschichtsbüchern kennen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Gemeinde Hochwolkersdorf, die gerne als der Geburtsort der Zweiten Republik bezeichnet wird. Und wirklich: In der kleinen Gemeinde inmitten der Buckligen Welt wurde rund um die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs Geschichte geschrieben. Und ein kleiner Bub, der später für die umfassende historische Aufarbeitung in der Region verantwortlich war, hat damals genau aufgepasst.
Während des Kriegsgeschehens spielte Hochwolkersdorf keine besondere Rolle. Der Ort war nicht mehr betroffen als andere Gemeinden in der Umgebung, ebenso wie andernorts wurden immer mehr Männer zum Kriegsdienst einberufen und es waren Gefallene zu beklagen. Ab dem Jahr 1943 konnte man die Luftangriffe der Alliierten auf die 20 Kilometer nördlich gelegene Industriestadt Wiener Neustadt beobachten. Es kam auch oberhalb des Gemeindegebietes zu Luftkämpfen, wobei ein deutsches und ein amerikanisches Flugzeug abgeschossen wurden. Ein amerikanischer Pilot verstarb nach dem Absprung mit dem Fallschirm und wurde im Friedhof von Hochwolkersdorf begraben. Bereits ab Jänner 1945 begann sich die Situation zu verändern und die näher rückende Front machte sich stärker bemerkbar. Mitte März begann der Durchzug ungarischer Flüchtlinge. In der Karwoche wurde der Flüchtlingsstrom immer stärker, die schlecht ausgebauten Straßen von und nach Hochwolkersdorf waren häufig verstopft. Am Karfreitag wusste die Bevölkerung schließlich, dass die russischen Truppen nur mehr 15 Kilometer von der Ortschaft entfernt waren, und die Menschen flohen in die umliegenden Wälder oder zu Bauernhöfen in der Einschicht. Als vierjähriger Bub hat das Johann Hagenhofer alles genau beobachtet und weit mehr mitbekommen, als die Erwachsenen vermutet haben – etwa auch, wo sie ihre Lebensmittel oder Wertsachen vor den Russen versteckt haben. Heute ist Hagenhofer als Historiker dafür verantwortlich, dass die regionale Geschichte gründlich aufgearbeitet und dokumentiert ist, etwa anhand der „Lebensspuren“-Reihe, des Projekts „Eine versunkene Welt“ zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Region und anhand seiner Autobiografie „Halterbub und Hofrat“, in der er seine Erlebnisse auch aus der Zeit des Kriegsendes aufgeschrieben hat. Hagenhofer war es auch, der in Hochwolkersdorf den Gedenkraum 1945 initiiert hat, ein Ausstellungsraum, in dem die Ereignisse dieser letzten Kriegstage in Hochwolkersdorf, die großen Einfluss auf die Zukunft des Landes haben sollten, zu sehen sind.
Historiker Johann Hagenhofer als Schulbub und Karl Renner
Renner unterschätzt
Warum der Ort eine entscheidende Rolle in den ersten Verhandlungen mit Stalin gespielt hat, könnte an seiner Lage liegen. Hoch oben über der Buckligen Welt war Hochwolkersdorf damals schlecht erreichbar, entlegen und bot dennoch einen guten Überblick. Dies war offenbar Grund genug für die russischen Späher, die Einrichtung des Oberkommandos in dieser Gemeinde vorzuschlagen. Streng bewacht, bezogen die Russen also im Ortszentrum Quartier. Zunächst traf Widerstandskämpfer Major Carl Szokoll ein, der schon beim Attentat auf Hitler im Jahr 1944 mitgewirkt hatte. Wenig später wurde schließlich Karl Renner von seiner Villa in Gloggnitz, in der er während des Krieges gelebt hatte, nach Hochwolkersdorf gebracht. „Für Stalin war Karl Renner der ideale Kandidat für die Bildung einer Volksfrontregierung, da er diesen für einen schwachen Sozialisten hielt, den er für seine Zwecke einsetzen konnte. Und damit hat Stalin ihn völlig unterschätzt“, so Hagenhofer.
In der Nacht vom 3. April traf Renner schließlich in Hochwolkersdorf ein und bereits am 4. April erreichte die Gemeinde das Telegramm aus Moskau, dass Renner Stalins volle Unterstützung genieße.
Es waren nur zwei bis drei Tage, die er in Hochwolkersdorf verbrachte, aber diese stellten die Weichen für alle weiteren Entwicklungen bis hin zur Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955.
Bild links: Einmarsch der Sowjets in Kirchschlag; Rechts: „Progromstimmung“ im Jahr 1938 in Hochwolkersdorf. / Fotos: Sammlung Markus Reisner via TsAMO, Gedenkraum 1945 Hochwolkersdorf