Rupert Schlögl (vorne ganz rechts): Als fünfjähriger Bub erlebt er hautnah das Näherrücken der russischen Truppen im Jahr 1945
Foto: Schlögl
Es sind nur mehr wenige Menschen, die aus erster Hand über die Geschehnisse gegen Ende des Zweiten Weltkriegs berichten können. Einer von ihnen ist Rupert Schlögl aus Weingraben im benachbarten Mittelburgenland. Er teilt mit dem „Boten“ seine Erinnerungen, als er damals als fünfjähriger Bub das Näherrücken der russischen Truppen auf ihrem Weg in die Bucklige Welt im Jahr 1945 hautnah miterlebt hat.
„Anfang Mai 1945, an einem wunderschönen sonnigen Tag spielte ich, damals fünf Jahre alt, wie schon so oft barfuß und in kurzer Hose vor meinem Elternhaus mit dem Hausnamen ‚Ribarits‘ und hielt Ausschau nach einem Spielkameraden. Die Straße war leer, niemand war zu sehen, auch kein Spielkamerad. Es war verdächtig ruhig. Unser Haustor stand offen, weil der Großvater mit dem Pferdewagen unterwegs war. Die Mutter und Großmutter waren weit hinter dem Hof im Gemüsegarten beschäftigt. Mein Vater war vom Krieg bzw. von der Gefangenschaft noch nicht zu Hause. Plötzlich sah ich von Draßmarkt kommend eine Beiwagenmaschine die Straße heraufstürmen und diese hielt, wahrscheinlich weil unser Haustor offen stand, genau vor diesem an.
Der im Beiwagen sitzende Soldat sprang heraus, kletterte auf dem offenen Haustor hinauf auf das Dach des Nachbarhauses bis zum Giebel. Von dort schaute er mit dem Fernglas Richtung Draßmarkt. Nach wenigen Sekunden schrie er zu dem auf dem Motorrad sitzenden Soldaten, der den Motor nicht abgestellt hatte, herunter: „Sie kommen schon!“ Dann rutschte er flink vom Dach herunter und sprang wieder in den Beiwagen. Zum Fahrer sagte er sehr hektisch „Gib Gas!“ und sie brausten in Richtung des Orts Karl bzw. Niederösterreich davon. Es waren deutsche Soldaten.
Erste Trupps Richtung Bucklige Welt
Wenige Minuten später hörte ich ein immer näher kommendes schwer dröhnendes Motoren- und Kettengeräusch. Es waren drei Panzer, die von Draßmarkt kommend die Straße heraufkamen. Auf jedem Panzer saßen Soldaten mit schussbereiten Gewehren im Anschlag. Einige Soldaten hielten die Gewehre auf die linke Häuserfront, einige auf die rechte gerichtet. Sie gaben keinen Schuss ab. Schon für mich war aber erkennbar: Es waren russische Panzer und Soldaten.
Genau vor mir blieben alle drei Panzer auf der Straße stehen. Der mittlere Panzer scherte aus der Kolonne nach rechts aus und fuhr in eine der drei auf der gegenüberliegenden Seite befindlichen Wiesen hinein. Diese Wiesen waren mit einem Bretterzaun zur Straße abgegrenzt, aber der Panzer fuhr den Zaun unter lautem Brechen und Knarren nieder und blieb nach etwa 50 Metern in der Wiese stehen. Dann konnte ich sehen, wie er mit dem Kanonenrohr in Richtung der Straße nach Kaisersdorf zielte und das Rohr kurz einmal nach rechts und einmal nach links schwenkte, doch er gab aber keinen Schuss ab. Sofort fuhr er rückwärts in derselben Spur zurück, reihte sich in die Kolonne wieder ein und sie fuhren weiter in die gleiche Richtung, in welche die deutschen Soldaten in der Beiwagenmaschine geflüchtet waren. Weder die Panzer noch die Russen gaben einen Schuss ab, sie winkten mir sogar zu.
Als die Panzer aus dem Sichtfeld waren, kamen plötzlich alte Frauen und Männer aus den Häusern und ich hörte, wie eine Frau ihrer Nachbarin zurief: „Sad su ode – jetzt sind sie da!“ Etwa eine Stunde später hörten wir von der Anhöhe vor Kirchschlag in der Buckligen Welt, ca. drei Kilometer Luftlinie entfernt, Kanonenschüsse und Kampflärm. Später erfuhren wir, dass einige flüchtende deutsche Soldaten versucht hatten, die russischen Panzer noch zu stoppen, was ihnen natürlich nicht gelungen war. Es gab unnötigerweise noch viele Tote, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Krieg angeblich offiziell beendet war. Ich vermute, die beiden deutschen Soldaten, die ich auf der Beiwagenmaschine gesehen habe, waren unter ihnen. Schon in den folgenden Tagen kam der russische Tross, dieser aber fuhr nicht nur durch.“
Die Erinnerungen von Rupert Schlögl geben Einblick, wie es war, als damals der Krieg zu Ende ging. Und doch ist es nur schwer nachzuempfinden, was in einem barfüßigen fünfjährigen Buben vorgegangen sein mag, der plötzlich drei schwerbewaffneten Panzern gegenüberstand.


Fotos: Jewgenij Chaldej aus „Die Russen in Wien – Die Befreiung Österreichs“, Erich Klein, Falter Verlag (2)






