Ein Forschungsteam rund um Dr. Gert Dressel, Dr. Johann Hagenhofer und Dr. Werner Sulzgruber hat das Leben der jüdischen Familien in der Region erforscht. Die Ergebnisse werden 2019 im Museum für Zeitgeschichte in Bad Erlach präsentiert. Der Bote aus der Buckligen Welt bietet im Rahmen einer Serie schon jetzt einen Einblick in die spannenden Ergebnisse.
Die Gemischtwarenhandlung von Julius Daniel an der Hauptstraße von Kirchberg am Wechsel. / Repros: Bruno Bauer
Kirchberg am Wechsel: Erinnerung an Familie Daniel
Schon vor 30 Jahren beschäftigte sich Bruno Bauer erstmals mit der Geschichte der jüdischen Familien in der Gemeinde Kirchberg am Wechsel. Der Historiker und wissenschaftliche Bibliothekar war sofort bereit, auch an dem neuen Regionsprojekt zur jüdischen Zeitgeschichte mitzuwirken. Im „Boten“ erzählt er von seinen Entdeckungen und wo die Forschungsreise noch hingehen wird.
Im Jahr 1988 hat Bruno Bauer als damals 25-Jähriger damit begonnen, bis 1995 mehr als 30 Interviews mit Zeitzeugen aus Kirchberg am Wechsel und Umgebung über den Zeitraum der 1930er- bis 1950er-Jahre durchzuführen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Widerstand und Verfolgung während des NS-Regimes. Besonders interessierte Bauer, ob man 1938/1939 in einer relativ abgeschotteten Marktgemeinde über Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Österreich Bescheid wusste. „Und so stieß ich auf die jüdische Familie Samuel und Franziska Daniel, die in Kirchberg eine ‚Vermischtwarenhandlung‘ an der Adresse Markt 12 betrieben hat. Aufgrund der Archivsperre, die damals noch die Nutzung vieler wichtiger Dokumente verhinderte, und mangels der modernen Recherchemöglichkeiten des Internets war ich damals im Wesentlichen auf die Aussagen der Zeitzeugen angewiesen, um das Schicksal der Familie Daniel rekonstruieren zu können“, erinnert sich Bauer.
Schließlich erfuhr er, dass die Daniels drei Kinder – Oskar, Siegfried und Else – hatten, dass Samuel Daniel Weltkriegsteilnehmer gewesen war, der auch eine k.u.k.-Auszeichnung erhalten hatte, und dass er Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Kirchberg gewesen war. Offensichtlich Eindruck hinterließ auch der Bau einer kleinen Hütte, in der die Familie regelmäßig das Laubhüttenfest feierte.
Deportation verzögert
Auch über die Umstände der Deportation wurde viel berichtet. Aufgrund der guten Verankerung des alten Ehepaares im Ort wurde deren Deportation relativ lange – bis 1942 – von den lokalen politischen Akteuren verzögert, ehe sie auf Initiative der Kreisleitung Neunkirchen abgeholt und nach Theresienstadt gebracht wurden, wo Franziska 1942 und Samuel 1943 verstorben sind. Ihr Besitz wurde ab 1939 treuhändisch verwaltet und später von der Gemeinde übernommen.
„Meine damaligen Studien führten bereits 1989 zu der gemeinsam mit einer Zeitzeugin betriebenen Gründung der ‚Initiative Daniel‘. Mittels einer Spendenaktion ist es uns gelungen, 1990 eine Gedenktafel, finanziert aus den Spenden von 80 Kirchbergern, an der Mauer des Ortsfriedhofs anzubringen. Während heute derartige Erinnerungsmahnmale fast schon zum guten Ton gehören, war es vor fast 30 Jahren politisch noch sehr schwierig, ein solches Unterfangen zu realisieren, weshalb ich noch heute dem damaligen Ortspfarrer Emerich Klener und dem damaligen Bürgermeister Leopold Hecher für die Unterstützung sehr dankbar bin“, so Bauer.
Auch in der 2001 von der Gemeinde Kirchberg herausgegebenen Ortschronik wurden die Ergebnisse von Bauers Nachforschungen über die Familie Daniel veröffentlicht.
Neue Erkenntnisse
Für Bruno Bauer war das Zeitgeschichte-Projekt rund um Johann Hagenhofer und Werner Sulzgruber eine willkommene Gelegenheit, mit den heutigen Möglichkeiten seine Erkenntnisse zu stützen. Zwar sind ihm dabei über die Familie Daniel keine neuen Informationen untergekommen, allerdings erfuhr er so von neuen Fällen, die ihm bisher nicht bekannt waren. „Aufgrund von Arisierungs- und Rückstellungsakten lässt sich belegen, dass Max Waller und Josef Wittels, beide nicht in Kirchberg ansässig, Liegenschaften im Ort besessen haben. Beide Fälle sind bisher noch nicht ausrecherchiert.“
Schulungslager im Wechselgebiet
Besonders interessant und unerwartet war für Bauer, als er auf eine Episode in der Geschichte des Gutes Hammerhof stieß, dass diese in ihrer Bedeutung weit über die Ortsgeschichte hinausweist. Das Gut befindet sich in Molzegg, in unmittelbarer Nähe zum Gemeindegebiet von Otterthal und Trattenbach. 1939 wurde hier im Rahmen von Alija ein jüdisches Schulungslager für jüdische Jugendliche errichtet und betrieben, wo sie für die Auswanderung nach Palästina und insbesondere für die landwirtschaftliche Arbeit im Kibbuz vorbereitet werden sollten.
„Mir war zwar vorher schon bekannt, dass es bereits seit den 1920er-Jahren jüdische Initiativen gab, möglichst vielen Juden die Ausreise nach Palästina zu ermöglichen, nicht aber, dass es ein Schulungslager im Wechselgebiet gegeben hat.
Im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde gibt es eine Namensliste vom September 1939, in der 84 jüdische Burschen und Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren angeführt sind. Internetquellen belegen, dass viele von ihnen der NS-Tötungsmaschinerie zum Opfer gefallen sind. „Das Alija-Lager am Hammerhof weist noch viele unbeantwortete Fragen auf, sodass ich den Fokus meiner Forschungen in nächster Zeit auf dieses Thema legen werde“, so Bauer.