Fotos: Tri­umph Archiv

Mit den „Lebensspuren“-Büchern und dem im letz­ten Jahr erschie­ne­nen Buch zum Leben der jüdi­schen Fami­li­en in der Regi­on bis zum Zwei­ten Welt­krieg ist das his­to­ri­sche Gedächt­nis der Buck­li­gen Welt und des Wech­sel­lands umfas­send auf­ge­ar­bei­tet wor­den. Nun fügt sich die­sem Pro­jekt ein wei­te­res Kapi­tel hin­zu. Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Wien haben die Fir­ma Tri­umph und ins­be­son­de­re die Aus­wir­kun­gen auf die Arbeits­welt für Frau­en in der Regi­on unter die Lupe genom­men. Das For­schungs­pro­jekt ist nun abge­schlos­sen. Das neue Buch und die dazu­ge­hö­ri­ge vir­tu­el­le Aus­stel­lung wer­den am 17. Sep­tem­ber im Pas­si­ons­spiel­haus von Kirch­schlag prä­sen­tiert. Wir spra­chen mit For­schungs­lei­ter Peter Becker schon vor­ab über die wich­tigs­ten Erkenntnisse. 

Bote: Wie kam es zu der Idee, die Bedeu­tung der Fir­ma Tri­umph in der Buck­li­gen Welt – ins­be­son­de­re auf die Arbeits­si­tua­ti­on der Frau­en – zu erforschen?

Univ.-Prof. Dr. Peter Becker: Tri­umph war seit den 1960er-Jah­ren einer der bedeu-tends­ten Arbeit­ge­ber in der Buck­li­gen Welt. Die Fir­ma hat 50 Jah­re lang vor allem Frau­en in der Zen­tra­le und Arbeits­vor­be­rei­tung in Wie­ner Neu­stadt und in den Näh­wer­ken in der Regi­on und im Süd­bur­gen­land beschäf­tigt, wo die­se Unter­wä­sche und Frei­zeit­be­klei­dung auf höchs­tem Niveau pro­du­zier­ten. Anfang der 1970er mach­te die Beschäf­tig­ten­zahl einen gro­ßen Sprung von 2.000 auf 2.600 Beschäf­tig­te.

In den 1990er-Jah­ren arbei­te­ten knapp 3.000 Frau­en und Män­ner bei der Fir­ma Tri­umph und pro­du­zier­ten 45 Mio. Klei­dungs­stü­cke pro Jahr, das sind 200.000 pro Tag! Sie ver­dien­ten fast eine hal­be Mil­li­ar­de Schil­ling pro Jahr, was die regio­na­le Kauf­kraft stärk­te.
Mein Inter­es­se an die­sem The­ma ent­stand wäh­rend Gesprä­chen mit mei­nen Nach­ba­rin­nen in Hol­len­thon, die über ihre Arbeits­er­fah­run­gen erzähl­ten. Deren gerin­ge öffent­li­che Prä­senz fand ich bemer­kens­wert, weil dar­in eine feh­len­de öffent­li­che Aner­ken­nung des Bei­trags die­ser Frau­en zur beein­dru­cken­den Ent­wick­lung der Regi­on zum Aus­druck kommt. Mit einer Grup­pe von Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten habe ich daher gemein­sam mit Kol­le­gin Bri­git­ta Schmidt-Lau­ber die­ses The­ma in drei Semi­na­ren auf­ge­grif­fen. Wir haben die Erfah­rung der Arbei­te­rin­nen zum Aus­gangs­punkt für drei ana­ly­ti­sche Per­spek­ti­ven genom­men:

Wie wur­den Frau­en rekru­tiert, wes­halb haben sie sich für die­se Tätig­keit ent­schie­den und wie konn­ten die Frau­en aus dem länd­li­chen Bereich mit den Her­aus­for­de­run­gen einer Dop­pel­be­las­tung und der Fabrik­ar­beit umge­hen? Wie ver­än­der­te sich Fabrik­ar­beit in die­ser Zeit und wel­che Rol­le spiel­ten die Frau­en bei der Ent­wick­lung neu­er Arbeits­ab­läu­fe und der Anpas­sung an neue Tech­no­lo­gien? Wie beein­fluss­te die glo­ba­le Wirt­schafts­ent­wick­lung die Arbeits­be­din­gun­gen der Frau­en in der Buck­li­gen Welt?

Bote: Wie hat die Zusam­men­ar­beit mit den ehe­ma­li­gen Tri­umph-Mit­ar­bei­te­rin­nen geklappt? Haben die­se ger­ne über ihre Erfah­run­gen gespro­chen oder war die Reak­ti­on eher zurückhaltend?

Becker: Die Reak­ti­on der ehe­ma­li­gen Tri­umph-Mit­ar­bei­te­rin­nen war anfangs eher zurück­hal­tend. Bei der ers­ten Kon­takt­auf­nah­me waren uns die fami­liä­ren Bezie­hun­gen unse­rer Stu­den­tin­nen zu ehe­ma­li­gen Nähe­rin­nen und mei­ne eige­nen Kon­tak­te nütz­lich. Wir wur­den auch von den Gemein­den bei der Suche nach Inter­view­part­nern aktiv unter­stützt. Die anfäng­li­che Skep­sis hat sich bei den Gesprä­chen rasch gelegt. Wir haben die Erfah­rung gemacht, dass die ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter ger­ne über ihre Arbeits­er­fah­rung, über die gemein­sa­men Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten und über die Ver­än­de­run­gen der Betriebs­kul­tur gespro­chen haben, auch wenn sie gegen­über der Fir­ma kri­tisch ein­ge­stellt waren.

Bote: Was waren die für Sie wichtigsten/​spannendsten/​überraschendsten Erkennt­nis­se aus den Gesprä­chen mit den Triumph-Mitarbeiterinnen?

Becker: Für mich hat sich rasch die Per­spek­ti­ve auf die Geschich­te von Tri­umph in der Buck­li­gen Welt gewan­delt. Wir haben zuerst ver­sucht, zu ver­ste­hen, wes­halb die Fir­ma Tri­umph ab Ende der 1990er Jah­re und dann ab 2010 die Pro­duk­ti­on kom­plett ein­ge­stellt hat. Rasch hat sich für uns eine ande­re Fra­ge gestellt: Wie konn­te die Pro­duk­ti­on in der Buck­li­gen Welt ent­ge­gen dem natio­na­len und inter­na­tio­na­len Trend der Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung in Bil­lig­lohn­län­der so lan­ge auf­recht­erhal­ten blei­ben? Grün­de dafür waren aus unse­rer Sicht die her­vor­ra­gen­de Arbeits­leis­tung der Mit­ar­bei­te­rin­nen in den Näh­be­trie­ben, die Inno­va­tio­nen in den Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fen und die enge Ver­net­zung mit den regio­na­len Mode­schu­len als Grund­la­ge der Ent­wick­lung neu­er Model­le.
Für mich hat sich auch das Ver­ständ­nis von Fabriks­ar­beit gewan­delt. Es war eine Tätig­keit, die sehr viel Geschick­lich­keit und Erfah­rungs­wis­sen erfor­dert hat. Die Nähe­rin­nen muss­ten schnell sein und ein hoch­fle­xi­bles Mate­ri­al prä­zi­se in die Maschi­ne ein­brin­gen. Sie waren ganz zu Recht stolz auf ihre Leis­tun­gen, die man noch heu­te anhand der Video­auf­zeich­nun­gen von Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fen nach­voll­zie­hen kann. Trotz die­ser Anstren­gung und der dau­ern­den Kon­zen­tra­ti­on auf die Arbeit hat­ten die Nähe­rin­nen ihren Spaß mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen. Kurz gesagt: Die Arbeit­neh­me­rin­nen von Tri­umph waren zuver­läs­sig und leis­tungs­ori­en­tiert, aber selbst­be­wusst genug, um sich ihren eige­nen Frei­raum zu sichern.

Bote: Zum Abschluss der For­schungs­ar­beit wird nun in Koope­ra­ti­on mit der Regi­on und den Stand­ort­ge­mein­den ein Buch her­aus­ge­ge­ben. Wie kam es zu die­ser Zusammenarbeit?

Becker: Bereits zu Beginn des Pro­jek­tes gab es Unter­stüt­zung von Man­fred Grundt­ner, dem Bür­ger­meis­ter von Hol­len­thon, der den Kon­takt zur Regi­on und den Stand­ort­ge­mein­den her­ge­stellt hat. Das Inter­es­se der Regi­on und der Stand­ort­ge­mein­den hat uns gezeigt, dass wir mit unse­rer For­schung ein The­ma auf­grei­fen, das für die Buck­li­ge Welt und ihre Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner rele­vant ist. Kon­kret hat uns die Koope­ra­ti­on mit den Stand­ort­ge­mein­den den Kon­takt zu ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen erleich­tert. Die Zusam­men­ar­beit war schließ­lich auch ein Ansporn, unse­re Resul­ta­te der regio­na­len Öffent­lich­keit in Form eines Buches zugäng­lich zu machen.

Bote: Kön­nen Sie unse­ren Lesern schon jetzt ein paar Details aus dem Buch verraten?

Becker: Das Buch ist ein Lese- und Bil­der­buch, das auf etwas mehr als 200 Sei­ten die Geschich­te von Tri­umph in der Buck­li­gen Welt prä­sen­tiert. Der Titel „Wir waren Tri­umph“ signa­li­siert, dass es uns um die vie­len hun­dert Frau­en in der Regi­on geht, die durch ihre Arbeit den lang­jäh­ri­gen Erfolg der Fir­ma sicher­ge­stellt haben. Ihre Erin­ne­run­gen sind die Grund­la­ge unse­res Buches, das einen wich­ti­gen Teil der Geschich­te der Regi­on behan­delt. Die 17 Kapi­tel unse­res Buches the­ma­ti­sie­ren den Weg der Fir­ma Tri­umph in die Buck­li­ge Welt und die Ein­bin­dung der Regi­on in den glo­ba­len Beklei­dungs­markt sowie die Orga­ni­sa­ti­on der Pro­duk­ti­on, die Pro­duk­te und ihre Bewer­bung. Im Mit­tel­punkt des Buches ste­hen die Nähe­rin­nen, ihre Her­kunft, ihre Arbeits­er­fah­run­gen und ihr Bei­trag zur Ent­wick­lung der Regi­on. Am Schluss des Buches steht der Kom­men­tar zu einem Werk der Welt­li­te­ra­tur. Elfrie­de Jelin­eks Roman „Die Lieb­ha­be­rin­nen“ spielt im Tri­umph-Werk in Hart­berg. Ihre Cha­rak­te­ri­sie­rung der Arbei­te­rin­nen ist pro­vo­kant und auf­schluss­reich, darf aber kei­nes­falls als eine sach­li­che Schil­de­rung der Lebens­ver­hält­nis­se ver­kannt werden.

Bote: Am 17. Sep­tem­ber wird im Pas­si­ons­spiel­haus von Kirch­schlag nicht nur das neue Buch, son­dern auch eine „vir­tu­el­le Aus­stel­lung“ zum For­schungs­pro­jekt prä­sen­tiert. Was kann man sich dar­un­ter vor­stel­len und was erwar­tet die Besu­cher bei der Prä­sen­ta­ti­on selbst?

Becker: Wir woll­ten ursprüng­lich die Geschich­te von Tri­umph in der Buck­li­gen Welt in einer kon­ven­tio­nel­len Aus­stel­lung prä­sen­tie­ren. Die­ser Plan hat sich rasch zer­schla­gen, vor allem auf­grund des Man­gels an Aus­stel­lungs­räu­men. Wir haben haupt­säch­lich Mate­ria­li­en, die digi­tal prä­sen­tiert wer­den kön­nen – Inter­views, Video­auf­nah­men von Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fen, Fotos und Medi­en­do­ku­men­te. Des­halb fiel die Ent­schei­dung auf eine digi­ta­le Prä­sen­ta­ti­on. Sie wird rea­li­siert in Form von elf Vide­os, die jeweils etwa sechs Minu­ten lang sind. Jedes Video ver­mit­telt einen Aspekt die­ser Geschich­te in einer unter­halt­sa­men Wei­se. Bei der Prä­sen­ta­ti­on am 17. Sep­tem­ber sol­len eini­ge Aus­schnit­te gezeigt wer­den. Das fer­ti­ge Pro­dukt wird dann im Inter­net abruf­bar sein. Es kann bequem von zu Hau­se aus oder auch im Rah­men des Schul­un­ter­richts in der Schu­le genutzt werden.