Johann Hagen­ho­fer als enga­gier­ter Jung­leh­rer (Bild rechts) / Foto: Hagenhofer

Bote: Ihre Auto­bio­gra­fie wird am ers­ten Juli der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert. Was war für Sie der Grund, sich dafür zu ent­schei­den, nun so vie­len Men­schen Ein­bli­cke in Ihr Leben zu geben?

Dr. Johann Hagen­ho­fer: Aus­schlag­ge­bend war die Lebens­ge­schich­te mei­ner Mut­ter sowie mei­ne Erfah­run­gen bei den Regi­ons­pro­jek­ten mit den Zeit­zeu­gen. Da habe ich bemerkt, dass es unheim­lich wert­voll ist, dass man die Geschich­te, die man erlebt hat, irgend­wo fest­hält. Zu mei­nem 80. Geburts­tag heu­er habe ich mir über­legt, das für mei­ne Fami­lie nie­der­zu­schrei­ben. Zunächst habe ich nicht an eine Publi­ka­ti­on gedacht. Ich habe auch eini­ge Leu­te kon­tak­tiert und nach ihren Erin­ne­run­gen an die dama­li­ge Zeit gefragt. Immer öfter habe ich die Rück­mel­dung bekom­men, dass ich das doch ver­öf­fent­li­chen soll­te. Irgend­wann habe ich dann selbst mit dem Gedan­ken gespielt und das Ein­ver­ständ­nis mei­ner Fami­lie eingeholt.

Bote: Die ver­schie­de­nen Milieus, die Sie im Lau­fe Ihres Lebens ken­nen­ge­lernt haben, zie­hen sich wie ein roter Faden durch das neue Buch. Wel­che waren für Sie die bemerkenswertesten?

Hagen­ho­fer: Zunächst war da die­ser ganz rück­stän­di­ge Bau­ern­hof ohne Strom auf der Drei­bu­chen­höh, wo mei­ne Mut­ter auf­ge­wach­sen ist. Mit den alten Struk­tu­ren, dem Herrn­bau­ern, der nichts gear­bei­tet hat. Das hat mich fas­zi­niert, denn ich habe schon immer sehr ger­ne beob­ach­tet. Etwa die Hier­ar­chien, die es da gege­ben hat, immer­hin waren rund 25 Per­so­nen am Hof. Als ich dann in der drit­ten Klas­se Volks­schu­le war, bin ich in ein ganz ande­res Milieu gekom­men, zu „roten Klein­häus­lern“. Davor hat­te ich immer gehört, die Roten, das sei­en alles Kom­mu­nis­ten. Da kamen auch immer wie­der inter­es­san­te Ver­wand­te aus Wien oder aus Deutsch­land. Weil ich in jun­gen Jah­ren ein sehr ruhi­ger Bub war, haben alle geglaubt, dass ich nicht mit­be­kom­me, wor­über sie spre­chen. Ich habe das aber alles auf­ge­saugt. Einer der Schei­de­we­ge in mei­nem Leben war dann die Volks­schul­leh­re­rin in Hoch­wol­kers­dorf, die mich so lan­ge unter­stützt hat, bis ich aufs Gym­na­si­um gehen durf­te. Davor muss­te ich noch ein Jahr zur Haupt­schu­le in Erlach. Da lern­te ich das nächs­te Milieu ken­nen, die Arbei­ter­fa­mi­lie mei­ner Tan­te. In wel­chem Milieu auch immer ich gera­de zu Hau­se war – ich habe immer alles ver­schlun­gen, was ich zu lesen fand. So habe ich schon früh eine brei­te poli­ti­sche Bil­dung erhal­ten, vom schwar­zen „Bau­ern­bünd­ler“ bis zur kom­mu­nis­ti­schen „Volks­stim­me“.

Bote: Schließ­lich durf­ten Sie doch ins Gym­na­si­um gehen. War Ihnen das damals bewusst, dass hier eine Wei­chen­stel­lung passiert?

Hagen­ho­fer: Nein, über­haupt nicht. Ich war schon immer neu­gie­rig und sehr beob­ach­tend und habe mich auf alles Neue gefreut. Nach der Schu­le habe ich dann die Nach­mit­ta­ge bei einem Schul­kol­le­gen ver­bracht. Sei­ner Mut­ter hat das gefal­len, weil ich schon immer gut gelernt habe und wir gemein­sam die Auf­ga­ben gemacht haben. So habe ich für drei Jah­re dann auch das gut­bür­ger­li­che Milieu kennengelernt.

Bote: Wir haben in der Mai-Aus­ga­be einen Aus­zug aus dem Buch prä­sen­tiert, wo es um den „bra­ven Hansl“ ging, der spä­ter dann doch nicht mehr so brav war. Wie hat sich das entwickelt?

Hagen­ho­fer: In der Unter­stu­fe des Gym­na­si­ums war ich der bra­ve Bub vom Land, der Mus­ter­schü­ler. Ein bissl schlam­pert war ich, aber die Haus­auf­ga­ben habe ich immer alle erle­digt. Auf­grund so man­cher Bekannt­schaf­ten hat sich das dann geän­dert. Da gab es zwei Grün­de: Zum einen das Arbei­ten am Bau in den Feri­en: Das waren lau­ter raue Bur­schen und die haben mich voll akzep­tiert, wohl auch weil ich vor nichts Angst hat­te und anpa­cken konn­te. Zum ande­ren die Halb­star­ken-Situa­ti­on in Hoch­wol­kers­dorf. Da hat sich eine Grup­pe gebil­det und ich war einer der Anfüh­rer. Ein­mal sind wir sogar ange­zeigt wor­den. Wäre das vor Gericht gekom­men, wäre ich sofort von der Schu­le geflo­gen. Ich hat­te ein blö­des Mund­werk, war frech, da hät­te mich nichts gehal­ten. Aber ich hat­te Glück, weil der zustän­di­ge Gen­darm sei­ne schüt­zen­de Hand über mich hielt. In der Schu­le sind dann in mei­ner Klas­se auch ein paar Repe­ten­ten dazu­ge­kom­men und ich war mit­ten­drin in die­ser Cli­que. Wir haben nur pro­vo­ziert und Blöd­sinn gemacht.

Bote: Hat­ten Sie zu die­ser Zeit schon einen Plan, wie Sie sich Ihr beruf­li­ches Leben vorstellen?

Hagen­ho­fer: Eigent­lich nicht. Ich wuss­te nicht ein­mal genau, was ich stu­die­ren soll­te. Zunächst habe ich mich für Jus ent­schie­den, da habe ich aber schnell erkannt, dass das nicht das Rich­ti­ge ist für mich. Als ich beschlos­sen habe, wie­der auf­zu­hö­ren, war das für mei­ne Mut­ter die größ­te Kata­stro­phe. Mein neu­er Plan war, per Auto­stopp nach Schwe­den zu rei­sen, weil das Land den Ruf hat­te, dass man dort gut ver­die­nen kann.

Bote: Am Weg nach Schwe­den hat­ten Sie erneut gro­ßes Glück. Was ist Ihnen da passiert?

Hagen­ho­fer: Ich war noch nicht sehr erfah­ren mit Auto­stop­pen und in Deutsch­land bin ich in einem Auto mit Diplo­ma­ten­kenn­zei­chen mit­ge­fah­ren. Das waren angeb­li­che Diplo­ma­ten aus Ecua­dor. Auf unse­rer Fahrt durch Deutsch­land haben sie immer wie­der bei Rast­sta­tio­nen halt­ge­macht, haben mir mein Essen bezahlt und mich allei­ne sit­zen las­sen. Man kann nur spe­ku­lie­ren, was sie in der Zwi­schen­zeit gemacht haben, mir war nur klar, dass die Leu­te, die sie getrof­fen haben, sicher kei­ne Diplo­ma­ten waren. Schließ­lich haben sie mir ein Ange­bot gemacht, sie nach Ecua­dor zu beglei­ten. Ich wäre sofort mit­ge­kom­men. Gott sei Dank hat­te mei­ne Mut­ter damals mei­nen Rei­se­pass nur für Rei­sen für alle Staa­ten inner­halb Euro­pas und nicht für alle Staa­ten welt­weit unter­schrie­ben – nach dem Mot­to: „Wer weiß, was dir noch für ein Blöd­sinn ein­fällt.“ Das war mein Glück, denn da wäre sicher nichts Gutes dabei herausgekommen.

Bote: Fan­den Sie in Schwe­den schließ­lich das gro­ße Geld?

Hagen­ho­fer: Schwe­den war vor allem die här­tes­te Schu­le mei­nes Lebens. Ich war wirk­lich ver­zagt, als ich ankam. Kalt war es, gereg­net hat es und mein Geld war auch fast weg. Zunächst bin ich durch Mal­mö gewan­dert und traf schließ­lich auf einen Schwe­den, der mir einen Job ver­schafft hat – als Tel­ler­wä­scher in einem Hotel. Dort war ich in der Hier­ar­chie der letz­te Dreck. Ich habe dann Schwe­disch gelernt und bin wei­ter­ge­zo­gen. Über den Vater eines Freun­des habe ich schließ­lich einen Job bei des­sen Tank­stel­le erhal­ten, wo ich auch die Jah­re dar­auf gear­bei­tet und wirk­lich sehr gut ver­dient habe. Als ich nach dem ers­ten hal­ben Jahr nach Hau­se gekom­men bin, hat­te ich so viel Geld erspart, dass ich mir bei Hoch­wol­kers­dorf ein Grund­stück kau­fen konnte.

Bote: War für Sie immer klar, dass Sie wie­der zum Stu­die­ren zurückkommen?

Hagen­ho­fer: Anfangs nicht. Ich war von Schwe­den so fas­zi­niert, dass ich zunächst blei­ben woll­te. Ich war begeis­tert von dem Sozi­al­staat und bin dort auch zum über­zeug­ten Sozi­al­de­mo­kra­ten gewor­den. Als ich dann aber von der Ein­wan­de­rungs­be­hör­de gefragt wur­de, was ich stu­die­ren wol­le, war mir klar, dass ich mich am meis­ten für Geschich­te inter­es­sie­re. Die Schwe­den waren aber mehr an Tech­ni­kern inter­es­siert. Also bin ich wie­der zurück nach Öster-
reich und habe hier mein Stu­di­um begonnen.

Bote: Das nächs­te gro­ße Glück war dann ein zufäl­li­ges Tref­fen mit Ihrem ehe­ma­li­gen Direk­tor. Wie hat er Ihren Lebens­weg beeinflusst?

Hagen­ho­fer: Ich habe Geschich­te und Geo­gra­fie stu­diert und in den Feri­en immer in Deutsch­land und Schwe­den gear­bei­tet. Ent­spre­chend viel Erfah­rung hat­te ich auch in der Wirt­schaft. Als mein Stu­di­um schließ­lich kurz vor dem Abschluss stand, war unser ers­tes Kind unter­wegs, wir haben gehei­ra­tet und ich habe das Stu­di­um abge­schlos­sen. Damals hat man als Aka­de­mi­ker leicht einen Job bekom­men. Ich habe mich also bewor­ben und in der Wirt­schaft hat man sich vor allem für mei­ne Berufs­er­fah­run­gen inter­es­siert. Ich hat­te zwei inter­es­san­te Ange­bo­te und war kurz davor, eines davon anzu­neh­men, als ich zufäl­lig mei­nen ehe­ma­li­gen Direk­tor traf. Die­ser bot mir eine Stel­le als Leh­rer an mei­ner alten Schu­le an, da ein Kol­le­ge für Geschich­te und Geo­gra­fie inner­halb eines Jah­res in Pen­si­on gehen wür­de. Er ver­sprach: Wenn ich die Lehr­amts­prü­fung in die­sem Zeit­raum schaf­fe, habe ich den Pos­ten. Da ich mit mei­ner Hei­mat­re­gi­on sehr ver­bun­den war, sah ich dar­in die ein­zi­ge Chan­ce, in der Regi­on blei­ben zu kön­nen. Und so habe ich mich schließ­lich ent­schie­den, Leh­rer zu wer­den. Ein Jahr habe ich die Päd­ago­gik-Aus­bil­dung gemacht, den Job bekom­men und schließ­lich mein gan­zes Berufs­le­ben an der Schu­le ver­bracht – durch die­sen unglaub­li­chen Zufall.

Bote: Sie sind also an die Schu­le zurück­ge­kehrt, waren dort Leh­rer und spä­ter Direk­tor. Wie wur­den Sie denn von Ihren Schü­lern und Leh­rern wahrgenommen?

Hagen­ho­fer: Als Leh­rer haben mich die Schü­ler schon sehr gemocht. Ich habe immer ver­sucht, den Unter­richt span­nend zu gestal­ten. Ich habe schon sehr früh Zeit­zeu­gen ein­ge­la­den und Exkur­sio­nen ver­an­stal­tet. Die Schü­ler haben auch viel sel­ber ler­nen müs­sen, etwa durch poli­ti­sche Refe­ra­te, die dann von den Mit­schü­lern kri­ti­siert wur­den. Ein Zitat in einer Matu­ra­zei­tung Anfang der 70er-Jah­re lau­te­te: „Der Hagi aus der Buck­li­gen Welt ist ein guter Mann, ihm taugt sein Job – das sieht man ihm an.“

Bote: Wie sind Sie mit Schü­lern umge­gan­gen, die sich ähn­lich wie Sie selbst in der Ober­stu­fe benom­men haben?

Hagen­ho­fer: Ich habe sie natür­lich bestraft und zusam­men­ge­putzt. Meis­tens habe ich sie in der Schu­le arbei­ten las­sen, also z. B. put­zen, wenn sie etwas ver­schmutzt hat­ten. Ins­ge­heim hat­te ich aber oft auch Ver­ständ­nis und eini­ge ehe­ma­li­ge Schü­ler haben mir im Nach­hin­ein erzählt, dass sie dach­ten, sie hät­ten bei mir ein Schmun­zeln bemerkt, wenn irgend­ei­ne Akti­on beson­ders ori­gi­nell gewe­sen war. Mit einer Aus­nah­me: Als das The­ma Dro­gen auf­ge­kom­men ist, war ich wirk­lich bein­hart, da gab es kei­ne Tole­ranz. Als Direk­tor kam mir dann mei­ne Erfah­rung vom Fuß­ball­platz zugu­te. Zuerst als Spie­ler und spä­ter als Trai­ner; da habe ich bemerkt, dass man nicht mehr mit allen „gut Freund“ sein kann. Auch mei­ne gro­ße beruf­li­che Erfah­rung und die Viel­falt mei­ner Jobs haben mir dabei sehr geholfen.

Bote: Das letz­te Kapi­tel in Ihrem neu­en Buch heißt „80 Jah­re, was nun?“. Also, was nun?

Hagen­ho­fer: Mit 80 Jah­ren wer­de ich ein biss­chen zurück­schal­ten. Ein so auf­wen­di­ges Pro­jekt wie das letz­te Buch zur jüdi­schen Geschich­te in der Regi­on wer­de ich wahr­schein­lich nicht mehr machen. Ich möch­te aber noch ein biss­chen mei­ne Fami­li­en­ge­schich­te auf­ar­bei­ten. Zusätz­lich habe ich schon ein neu­es Pro­jekt in Aus­sicht: In Hoch­wol­kers­dorf wird das Muse­um aus­ge­baut. Der bis­he­ri­ge Gedenk­raum wird ver­grö­ßert. Dabei ist mir ein dif­fe­ren­zier­tes Bild der Rus­sen ein Anlie­gen. Da haben Ste­fan Zehet­ner und ich mit Mar­kus Reis­ner einen guten Fach­mann zur Sei­te, damit man auch aus der Sicht der rus­si­schen Sol­da­ten zei­gen kann, wie die Situa­ti­on rund um den Krieg war. Die­ses The­ma möch­te ich noch auf­ar­bei­ten. Davor kommt aber noch die Buch­prä­sen­ta­ti­on am 1. Juli.