Imposant: Die Hauptfassade mit Liegebalkons / Foto: Steinbichler

Es ist inzwischen Tradition geworden: Einmal im Jahr blickt unser Fotograf Markus Steinbichler über die Grenzen der Buckligen Welt, um historisch bedeutende Bauwerke näher zu erkunden. Nach dem Südbahnhotel am Semmering, der Synagoge in Kobersdorf und dem Nadelburgmuseum in Lichtenwörth ging es heuer einmal mehr auf den „Zauberberg“: Schon lange war dort ein Besuch im ehemaligen Kurhaus Semmering geplant, nun war es endlich so weit. Immerhin erzählt das Gebäude nicht nur von seiner großen Vergangenheit – es blickt auch zuversichtlich in die Zukunft.

Es ist nur ein Katzensprung von der Buckligen Welt zum Semmering. Und doch ist ein Ausflug in diese einmalige Kulturlandschaft jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis. Wer ein Faible für besondere Orte hat, an denen die Zeit stillzustehen scheint, ist hier genau richtig. An der Hochstraße reihen sich Sommerfrische-Villen aneinander, dazwischen schweift der Blick in die gebirgige Weite – bis man ein wahres Ansichtskartenmotiv vor Augen hat: den Blick auf eine der drei großen „Semmering-Ikonen“, das Kurhaus am Wolfsbergkogel.

Nach der Eröffnung des Südbahnhotels 1882 und des Grand Hotels Panhans 1888 hatte sich der Semmering als Sommerfrische- und Urlaubsort für die Wiener Gesellschaft etabliert. Karoline von Neumann, die Witwe des großen Semmering-Architekten Franz von Neumann (er prägte mit seinen Villen das Erscheinungsbild des neu entstandenen Ortes), gab 1907 den Anstoß zu einem dritten großen Haus am Semmering. Ein Kurhaus nach Schweizer Vorbild sollte vornehmlich der Gesundheit der Gäste dienen. Den Standort hatte sie in windgeschützter, sonniger Lage, mit prächtigem Ausblick auf den Sonnwendstein und gut erreichbar oberhalb einer Bahnstation bestens gewählt. Für den Gesundheitsaspekt des Hauses stand ihr der ehemalige Primararzt und Höhentherapie-Spezialist Dr. Franz Hansy zur Seite. Geplant wurde das Kurhaus von den renommierten Wiener Architekten Franz von Krauß und Josef Tölk.

Historismus und Moderne

Das Gebäude stellt eine interessante Mischung aus Historismus, Jugendstil und Moderne dar: Im Kern steckt ein moderner Stahlbetonbau, damals erst bei Industriebauten im Einsatz. Gut sichtbar ist diese Konstruktion im Frühstücks- und Speisesaal und in den luftigen Stiegenhäusern. Die talseitige Fassade erhielt jedoch eine Holzfassade und Balkone im Heimatstil, passend zum gewohnten Ortsbild.

Reiche Gäste bewohnten große Zimmer mit Liegebalkonen im ersten Stock, darüber lagen kleinere, günstigere Räume bis hin zu einfachsten Kammern im Dachgeschoß, Etagenbad am Gang inklusive. Allen Gästen standen Gesellschaftsräume wie Musikzimmer, Lesezimmer oder der „Grand Salon“ mit riesigen Panoramafenstern zur Verfügung.

Zum Kurprogramm gehörten individuelle Diätkuren, Bäder aller Art, Liegeplätze im Wald sowie ein großer Turnsaal im Untergeschoß – noch heute steht hier „Keine Übung darf Schmerzen verursachen!“ an der Wand. Zwischen der Eröffnung 1909 und 1938 waren große Namen der Wiener Gesellschaft wie Anton Wildgans, Arthur Schnitzler und Peter Altenberg zu Gast im Kurhaus Semmering. Letzterer hielt seine Erlebnisse im Buch „Semmering 1912“ fest.

Neubeginn im alten Stil: das „Grand Semmering“

Wie für den gesamten Semmering brachte der Zweite Weltkrieg auch für das Kurhaus eine Zäsur: Es wurde beschlagnahmt und als Heereskurlazarett für hohe Offiziere der Wehrmacht verwendet. Nach dem Krieg wurde es von der sowjetischen Besatzungsadministration besetzt. Bis 1988 wurde das Kurhaus als Erholungsheim für Bundesbedienstete geführt. Es folgten verschiedene Besitzer, verworfene Projektideen und nur temporäre Nutzung für Theater und Konzerte, bis zum ersten Schritt für einen hoffnungsvollen Neuanfang im Jahr 2019: Der Hotelier Florian Weitzer – er betreibt bereits fünf Hotels in Wien und Graz – erwarb das Gebäude, um daraus das Hotel „Grand Semmering“ zu machen. Geplant ist eine behutsame Revitalisierung unter Bewahrung der historischen, großteils denkmalgeschützten Substanz.

Das Haus soll seine zauberhafte Atmosphäre behalten und wieder zum Ort für Ruhe und Entschleunigung werden. Florian Weitzer beschreibt seine Vision dafür so: „Das Kurhaus hat mich schon lange mit seinem Charme berührt. Es inspiriert mich, wie in früheren Zeiten die Städter mit ihren Künstlern hier die Sommerfrische verbracht haben. Fasziniert von dieser Geschichte, möchte ich Regisseur in diesem Haus sein und Menschen zum Träumen anregen. Mein Ziel für die kommenden Jahre ist es, mit viel Einfühlungsvermögen dem Kurhaus und damit auch dem Ort Semmering neues Leben einzuhauchen.“

Diese Intention kann unser Fotograf Markus Steinbichler nach seinem Besuch unterstreichen: „Zwei, drei Stunden in diesen wundervollen Räumlichkeiten, auf den sonnigen Balkonen und Terrassen oder im schattigen Wald gleich hinter dem Haus beim malerischen ‚20-Schilling-Blick‘ auf Polleroswand und Kalte Rinne (bekannt von der alten 20-Schilling-Banknote) … und man kann es gar nicht mehr erwarten, ein paar Tage Auszeit mit Stil zu verbringen!“

Aufruf

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