Das Schach­ner-Stüberl in Trat­ten­bach / Foto: Steinbichler

Der klei­ne Ort Trat­ten­bach liegt tief im Feis­tritz­tal, am Fuße von Otter, Pfaf­fen und Wech­sel. Es wirkt über­ra­schend, dass genau hier vor über 100 Jah­ren ein Jahr lang einer der bedeu­tends­ten Phi­lo­so­phen des 20. Jahr­hun­derts leb­te. Lud­wig Witt­gen­steins son­der­ba­rer Lebens­lauf führ­te ihn als Volks­schul­leh­rer nach Trat­ten­bach. In sei­ner ehe­ma­li­gen Unter­kunft mit­ten im Ort erin­nert eine klei­ne Aus­stel­lung mit zahl­rei­chen Erin­ne­run­gen an die­se Zeit.

Lud­wig Witt­gen­stein wur­de 1889 als jüngs­tes von acht Kin­dern in eine der reichs­ten Indus­tri­el­len­fa­mi­li­en der Mon­ar­chie gebo­ren, die zur Spit­ze der Wie­ner Gesell­schaft um 1900 gehör­te. Er absol­vier­te ein Maschi­nen­bau-Stu­di­um und begann sich im Jahr 1911 in Cam­bridge mit Mathe­ma­tik und Phi­lo­so­phie aus­ein­an­der­zu­set­zen und auch schon bald eige­ne Über­le­gun­gen anzu­stel­len. Die­se fass­te Witt­gen­stein in sei­nem ers­ten Haupt­werk „Trac­ta­tus logi­co-phi­lo­so­phi­cus“ zusam­men, das er bis 1918 – teil­wei­se sogar als Frei­wil­li­ger im Ers­ten Welt­krieg an der Front – ver­fass­te. Das kom­pli­zier­te Werk ver­sucht, unter ande­rem mit Mit­teln mathe­ma­ti­scher Logik, Sinn und Unsinn der Spra­che zu erfor­schen und „dem Den­ken eine Gren­ze zu zie­hen“, wie er im Vor­wort schreibt. Dort fasst er auch radi­kal knapp zusam­men: „Man kann den gan­zen Sinn des Buches etwa in die Wor­te fas­sen: Was sich über­haupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, dar­über muss man schweigen.“

Der Phi­lo­soph von Welt als Dorfschullehrer

Mit der Ver­öf­fent­li­chung des „Trac­ta­tus“ glaubt Witt­gen­stein, alle phi­lo­so­phi­schen Pro­ble­me gelöst zu haben, wes­halb er sich in der Fol­ge von die­ser Dis­zi­plin abwen­det. Sein Lebens­lauf weist danach meh­re­re über­ra­schen­de Brü­che und Wen­dun­gen auf, begin­nend mit dem Ent­schluss, sein gan­zes Ver­mö­gen sei­nen Geschwis­tern zu ver­ma­chen und eine Aus­bil­dung zum Volks­schul­leh­rer zu absol­vie­ren. Unter­rich­ten woll­te er mög­lichst abge­schie­den vom Tru­bel der gro­ßen Welt, in einer schlich­ten länd­li­chen Schu­le. Im Herbst 1920 trat Lud­wig Witt­gen­stein sei­nen Dienst in Trat­ten­bach an und bewohn­te hier meh­re­re beschei­de­ne Quar­tie­re. Erzäh­lun­gen und Anek­do­ten aus sei­ner Zeit in Trat­ten­bach schil­dern den Phi­lo­so­phen als ver­schlos­se­nen, ein­zel­gän­ge­ri­schen und rät­sel­haf­ten Cha­rak­ter. Er fand nur schwer Anschluss an die Dorf­be­woh­ner, die Distanz zwi­schen dem Land­volk und dem durch­geis­tig­ten Kopf­men­schen dürf­te wohl auf Gegen­sei­tig­keit beruht haben. Den­noch knüpf­te er im Ort auch enge lang­jäh­ri­ge Kon­tak­te, wie zum Dorf­pfar­rer Neururer oder zur alten Traht­bäu­rin, zu der er bei­na­he täg­lich zu Fuß zum Essen oder Milch­ho­len ging – die­se Stre­cke kann man heu­te als „Witt­gen­stein­weg“ im Ort nachwandern.

Auch sei­ne Rol­le als Volks­schul­leh­rer dürf­te zwei Sei­ten gehabt haben: Einer­seits war er streng und hat auch vor kör­per­li­cher Züch­ti­gung nicht halt­ge­macht – damals im Schul­we­sen aller­dings kei­ne Sel­ten­heit. Ande­rer­seits hat er sei­nen Unter­richt gewis­sen­haft vor­be­rei­tet und die­sen sehr pra­xis­nah ange­legt, indem er etwa mit den Kin­dern Klein­tie­re prä­pa­riert und tech­ni­sche Model­le gebaut hat. Außer­dem hat er ärme­re Kin­der mit Lebens­mit­teln und Schul­ma­te­ria­li­en ver­sorgt, kos­ten­los För­der­un­ter­richt gege­ben und spä­ter auch ein Wör­ter­buch für Volks­schu­len ver­fasst. In den Erin­ne­run­gen man­cher Schü­ler wird er daher oft als mensch­lich und gerecht beschrie­ben – wenn­gleich auch son­der­bar in sei­ner Art.

Nach knapp einem Jahr ver­ließ Witt­gen­stein Trat­ten­bach, wei­te­re Sta­tio­nen als Leh­rer waren danach Neun­kir­chen, Haß­bach, Puch­berg und zuletzt Otter­thal. Ab 1926 ver­such­te er sich, zurück in Wien, unter ande­rem als Bild­hau­er und Archi­tekt eines moder­nen Hau­ses für sei­ne Schwes­ter. Ab 1929 wid­me­te er sich wie­der ganz der Phi­lo­so­phie – immer­hin hat­te sein „Trac­ta­tus“ in der Zwi­schen­zeit Berühmt­heit und Aner­ken­nung erlangt. Er kehr­te zurück nach Cam­bridge, ver­fass­te dort sein zwei­tes gro­ßes Werk „Phi­lo­so­phi­sche Unter­su­chun­gen“, war bis zu sei­nem Tod 1951 als Pro­fes­sor tätig und liegt hier auch begraben.

Lud­wig Witt­gen­stein im Schachner-Stüberl

An Lud­wig Witt­gen­steins Zeit in Trat­ten­bach erin­nert heu­te eine Aus­stel­lung im Schach­ner-Stüberl, wo er sein ers­tes Quar­tier – ver­mut­lich in einem Man­sar­den­zim­mer – bezog. Das denk­mal­ge­schütz­te Haus wur­de 1838 als Neben­ge­bäu­de des „Gast­hau­ses zum brau­nen Hir­schen“ errich­tet, wo meh­re­re Gäs­te­zim­mer ver­mie­tet wur­den. Hier wohn­te anfangs der einst wohl­ha­ben­de Witt­gen­stein in beschei­dens­ten Ver­hält­nis­sen, bis ihm der Tru­bel des nahe­ge­le­ge­nen Gast­hau­ses zu viel wur­de. Die Doku­men­ta­ti­on zeigt in drei Räu­men im ers­ten Stock zahl­rei­ches Bild­ma­te­ri­al aus dem Trat­ten­bach der 1920er-Jah­re, Text­ta­feln geben Erin­ne­run­gen an den heu­te so berühm­ten Gast wie­der. Alte Schul­bän­ke und Schreib­ti­sche ver­mit­teln ein Gefühl für den Schul­be­trieb der dama­li­gen Zeit, ein Exem­plar von Witt­gen­steins Wör­ter­buch lädt zum Blät­tern ein. Und auch per­sön­li­che Erin­ne­rungs­stü­cke sind zu sehen: eine Fla­sche, mit der Witt­gen­stein Milch holen ging, ein eigen­hän­dig prä­pa­rier­tes Kat­zen­ske­lett und – den gro­ßen Raum domi­nie­rend – ein 1940 selbst ent­wor­fe­nes Bett aus sei­ner Zeit in Cam­bridge. Das klei­ne fei­ne Muse­um kann gegen Vor­anmel­dung beim Gemein­de­amt Trat­ten­bach besucht werden.

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