Von links: Johann Hagen­ho­fer, Bür­ger­meis­ter Hans Räd­ler, Dani­elle Spe­ra, Gert Dressel und Wer­ner Sulz­gru­ber bei der Prä­sen­ta­ti­on des For­schungs­pro­jekts im Jüdi­schen Muse­um in Wien / Foto: Rai­ner Holzbauer

Auf den Spu­ren einer „ver­sun­ke­nen Welt“

von | Mrz 14, 2018 | Archiv, Regi­on

Ende Febru­ar wur­de das For­schungs­pro­jekt zur jüdi­schen Geschich­te in der Buck­li­gen Welt und im Wech­sel­land abge­schlos­sen, und die Ergeb­nis­se wur­den dem Jüdi­schen Muse­um Wien über­reicht. Die­ses wird nun gemein­sam mit „toi­koi“ eine Aus­stel­lung gestal­ten, die zur Lan­des­aus­stel­lung 2019 im neu­en Muse­um für Zeit­ge­schich­te in Bad Erlach prä­sen­tiert wird. Ange­dacht ist außer­dem ein neu­es Buch­pro­jekt. Einen ers­ten Ein­blick in die Ergeb­nis­se der For­schung gibt es im Rah­men einer neu­en Serie ab der nächs­ten Aus­ga­be exklu­siv im Boten aus der Buck­li­gen Welt.

Seit 15 Jah­ren ist Johann Hagen­ho­fer in Pen­si­on, und seit­her beschäf­tigt er sich inten­siv mit der Regio­nal­ge­schich­te in der Buck­li­gen Welt und im Wech­sel­land. Nach dem mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ten „Lebensspuren“-Buchprojekt in drei Bän­den, das anhand von Ein­zel­schick­sa­len das Leben der Men­schen vor, wäh­rend und nach dem Zwei­ten Welt­krieg in ein­drucks­vol­len Erzäh­lun­gen beschreibt, war er nun feder­füh­rend an einem wei­te­ren Pro­jekt beteiligt.

His­to­ri­ker-Team

Für das Musem für Zeit­ge­schich­te, das im Zuge der Lan­des­aus­stel­lung 2019 in Bad Erlach eröff­net wird, hat Hagen­ho­fer gemein­sam mit den His­to­ri­kern Gert Dressel (Exper­te für Oral Histo­ry), Wer­ner Sulz­gru­ber (Exper­te für die jüdi­sche Geschich­te rund um Wie­ner Neu­stadt) und vie­len wei­te­ren His­to­ri­kern und For­schern das Leben von rund 200 Juden in der Buck­li­gen Welt und im Wech­sel­land rekon­stru­iert. In 26 Gemein­den, in denen es jüdi­sche Bewoh­ner gab, wur­den gemein­sam mit ehren­amt­li­chen Hei­mat­for­schern Inter­views und Video­auf­nah­men von Zeit­zeu­gen gesam­melt sowie vie­le Fotos und Doku­men­te zusam­men­ge­tra­gen. Die­ses Mate­ri­al bil­det künf­tig die Basis für die ers­te Aus­stel­lung im Muse­um für Zeit­ge­schich­te. Mitt­ler­wei­le haben die Bau­ar­bei­ten begon­nen, bis zum März 2019 soll das Pro­jekt fer­tig­ge­stellt werden.

Die Ergeb­nis­se der For­scher­grup­pe wur­den von Dani­elle Spe­ra, Lei­te­rin des Jüdi­schen Muse­ums Wien, und ihrem Team begeis­tert auf­ge­nom­men.  Beson­ders inter­es­sant sei, dass erst­mals von einem Team aus der Regi­on das Leben von Juden auf dem Land unter­sucht wor­den sei. Bis­lang wur­den jüdi­sche Schick­sa­le bei­na­he aus­schließ­lich im städ­ti­schen Bereich erforscht.

Die Ergeb­nis­se der For­schungs­grup­pe aus der Buck­li­gen Welt beleuch­ten dage­gen Lebens­we­ge wirt­schaft­lich armer Juden, die als Hau­sie­rer von Hof zu Hof zogen und ihre Waren anbo­ten. Sie benutz­ten soge­nann­te „Juden­stei­ge“, um Maut­stel­len aus­zu­wei­chen, und über­nach­te­ten bei „Juden­bau­ern“, die ihnen Quar­tier und Schlaf­plät­ze bereit­stell­ten. Dane­ben wid­me­ten sich die Hei­mat­for­scher auch den nie­der­ge­las­se­nen Händ­lern, wie der Fami­lie Hacker, die in Bad Erlach bis zur Ver­trei­bung einen Wein­han­del bewirtschaftete.Auch Quel­len zu den weni­gen sehr wohl­ha­ben­den Fami­li­en, die in Bad Erlach und im Wech­sel­land als Fabri­kan­ten tätig waren, wur­den ausgewertet.

„Ihr Pro­jekt, die Schick­sa­le der am Lan­de leben­den Juden zu erfor­schen, ist wirk­lich außer­ge­wöhn­lich und bie­tet vie­le inter­es­san­te Anknüp­fungs­punk­te“, fass­te Dani­elle Spe­ra die Resul­ta­te der Prä­sen­ta­ti­on zusam­men.  Nun wer­den die For­schungs­er­geb­nis­se gesich­tet, und ein Kon­zept für die ers­te Aus­stel­lung im Muse­um für Zeit­ge­schich­te in Bad Erlach wird erstellt.

Das Bild der Fami­lie Blum aus Krum­bach wur­de von Rai­ner Holz­bau­er zur Ver­fü­gung gestellt und ist knapp vor der Ver­trei­bung 1938 ent­stan­den. Die Per­so­nen von links: 1. Rei­he sit­zend: Elsa, Alfred und Gre­te Blum; 2. Rei­he sit­zend: Hed­wig und Leo Ulman aus Lacken­bach (Eltern von Mira); 2. Rei­he ste­hend: Fritz, Mira, David, Juli­us, Moritz, Max und Ernst Blum / Foto: Rai­ner Holzbauer

„Blin­de Fle­cken“ der Geschich­te

„Wenn wir als Kin­der gefragt haben, was mit den jüdi­schen Fami­li­en pas­siert ist, da hieß es ein­fach: ‚Die sind fort­ge­zo­gen.‘ Für mich waren vie­le Ergeb­nis­se der For­schungs­ar­beit daher auch neu und umso inter­es­san­ter“, so Johann Hagen­ho­fer. Er ist sich sicher, dass ein sol­ches Pro­jekt vor 20 oder 30 Jah­ren nicht mög­lich gewe­sen wäre. „Das The­ma war ein Tabu. Es ist heu­te sehr schwer, Zeit­zeu­gen zu fin­den.  Ich möch­te mich daher bei unse­rem tol­len Team von His­to­ri­kern, Sozio­lo­gen, Leh­rern und For­schern bedan­ken, das so viel inter­es­san­tes Mate­ri­al gefun­den hat“, so Hagenhofer.

Sein Bild der Juden in der Regi­on habe sich durch die Ergeb­nis­se auch gewan­delt. „Mein Bild von den jüdi­schen Fami­li­en in der Regi­on war das der Kauf­leu­te. Dass es aber auch ganz arme jüdi­sche Hau­sie­rer und sehr rei­che jüdi­sche Indus­tri­el­le gege­ben hat, war auch für mich neu. Das war kei­ne homo­ge­ne Gruppe.“

So wur­de bei­spiels­wei­se in Bad Erlach eine Tex­til­fa­brik und in Trat­ten­bach eine Holz­schlei­fe­rei mit vie­len Arbeits­plät­zen betrie­ben. Eine beson­ders schil­lern­de Per­sön­lich­keit war etwa Baron Leo­pold Pop­per, der mit sei­ner Gat­tin, der berühm­ten Opern­sän­ge­rin Maria Jeri­tza in St. Coro­na leb­te. Um sich in der ört­li­chen Bevöl­ke­rung zu inte­grie­ren, war der Ade­li­ge sogar Teil der ört­li­chen Feuerwehr.

Ver­fol­gung und Ver­trei­bung

Der aktu­el­le Bote aus der Buck­li­gen Welt erscheint fast genau 80 Jah­re nach dem Ein­marsch der deut­schen Trup­pen in Öster­reich und dem Beginn der Juden­ver­fol­gung, auch in unse­rer Regi­on. „Unser For­schungs­the­ma ist sehr aktu­ell. Das The­ma Flucht betrifft nicht nur die Geschich­te, son­dern auch die Gegen­wart“, so Hagen­ho­fer. Wie schnell sich die Stim­mung in den Gemein­den gegen­über den jüdi­schen Fami­li­en gewan­delt hat, wird im Rah­men der For­schungs­ar­beit eben­falls doku­men­tiert. In die­sem Rah­men ist auch ein Brief eines Juden aus Krum­bach auf­ge­taucht, der im Jahr 1998 auf einen Zeit­zeu­gen-Auf­ruf reagiert hat. „Ich kom­me von einer ande­ren Welt, einer ver­sun­ke­nen Welt, einer Welt, die es nicht mehr gibt, von der alle Spu­ren aus­ge­löscht wur­den und die nie wie­der auf­er­ste­hen wird. Eine Welt, in der Tra­di­ti­on und Reli­gi­on stark ver­an­kert waren“, heißt es in dem Brief.

Ins­ge­samt 200 Juden aus der Buck­li­gen Welt und dem Wech­sel­land, teil­wei­se mit gewal­ti­gem Ein­fluss, wur­den ab 1938 ver­trie­ben oder flüch­te­ten. Damit eben nicht alle Spu­ren aus­ge­löscht wer­den, wur­de das For­schungs­pro­jekt ins Leben geru­fen. In wei­te­rer Fol­ge ist nun auch ein Buch­pro­jekt ange­dacht, in dem die Ergeb­nis­se gesam­melt wer­den und recht­zei­tig zur Lan­des­aus­stel­lung prä­sen­tiert wer­den sol­len. Bis es so weit ist, begibt sich der „Bote“ gemein­sam mit den For­schern auf die Suche nach die­ser „ver­sun­ke­nen Welt“. Ab der nächs­ten Aus­ga­be lesen sie über die Schick­sa­le der jüdi­schen Fami­li­en in den Gemein­den der Region.

Baron Leo­pold Pop­per in St. Coro­na im Jahr 1928. Der Baron steht in der Mit­te der 2. Rei­he mit dem Trach­ten­jan­ker. Die drit­te Dame von rechts in der ers­ten Rei­he ist die Gat­tin des Barons, die berühm­te Opern­sän­ge­rin Maria Jeri­tza. Das Grup­pen­fo­to ent­stand bei der Ein­wei­hung der Turm­uhr, die der Baron der Gemein­de schenk­te. / Foto: Hans Hantich

Bür­ger­meis­ter Hans Räd­ler und Ther­men­ge­mein­den-GF Wolf­gang Fischl (1. und 2. v. li.) mit den Ver­tre­tern des Jüdi­schen Muse­ums Wien und Lei­tern des For­schungs­teams / Foto: Wre­de