Ein For­schungs­team rund um Dr. Gert Dressel, Dr. Johann Hagen­ho­fer und Dr. Wer­ner Sulz­gru­ber hat das Leben der jüdi­schen Fami­li­en in der Regi­on erforscht. Die Ergeb­nis­se wer­den 2019 im Muse­um für Zeit­ge­schich­te in Bad Erlach präsent­iert. Der Bote aus der Buck­li­gen Welt bie­tet im Rah­men einer Serie schon jetzt einen Ein­blick in die span­nen­den Ergebnisse.

Haus der Fami­lie Max und The­re­sia Hacker, einst Erlach 28, Geschäfts­por­tal / Foto: Gemein­de Bad Erlach/​Sammlung Jeit­ler – Aus­schnitt aus einer Post­kar­te o. J.

Bad Erlach und das Muse­um – ein Ort des Erinnerns

von | Jun 20, 2018 | Archiv

In Bad Erlach ent­steht der­zeit nicht nur das Muse­um für Zeit­ge­schich­te mit einer Aus­stel­lung zu den jüdi­schen Fami­li­en in der Regi­on, Bad Erlach selbst hat auch eine beson­ders reich­hal­ti­ge jüdi­sche Ver­gan­gen­heit auf­zu­wei­sen. Mit Wer­ner Sulz­gru­ber hat sich ein abso­lu­ter Exper­te auf Spu­ren­su­che in die Ther­men­ge­mein­de bege­ben. Seit vie­len Jah­ren erforscht er die jüdi­sche Geschich­te in und rund um Wie­ner Neu­stadt. Der „Bote“ darf einen Ein­bick in die wich­tigs­ten Ergeb­nis­se sei­ner For­schungs­ar­beit geben.

Der wis­sen­schaft­li­che Lei­ter des For­schungs­pro­jekts „Die jüdi­sche Bevöl­ke­rung der Regi­on Buck­li­ge Welt – Wech­sel­land“, Wer­ner Sulz­gru­ber, betreibt sei­ne For­schun­gen über die Zeit­ge­schich­te seit den 1990er-Jah­ren. Dar­aus ist eine höchst umfas­sen­de Samm­lung über Wie­ner Neu­stadt und das süd­li­che Nie­der­ös­ter­reich hervorgegangen.

Von Anfang an waren Inter­views mit Zeit­zeu­gen  ein wich­ti­ger Bestand­teil sei­ner For­schungs­ar­bei­ten, in denen sich der Fokus zuneh­mend auf die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus und die jüdi­sche Bevöl­ke­rung rich­te­te. „Der außer­or­dent­li­che Reiz die­ses Pro­jekts liegt dar­in, dass zum ers­ten Mal eine so gro­ße For­scher­grup­pe die soge­nann­ten ‚Land­ju­den‘ einer Regi­on beleuch­tet hat. In die­ser Form und in die­sem Umfang gab es bis­lang für eine Regi­on öster­reich­weit kein Pro­jekt die­ser Art“, so der His­to­ri­ker, der in Bad Erlach eine Fül­le an Infor­ma­tio­nen fand.

Tex­til­in­dus­trie und Han­del

In Erlach leb­ten seit der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts Juden. Die Anfän­ge ste­hen mit dem Aus­bau der Tex­til­in­dus­trie, die von Leo­pold Abe­les vor­an­ge­trie­ben wur­de, in Zusam­men­hang. Die „Woll­wa­ren­fa­brik Erlach“ (Hein­rich Chai­mo­wicz) und die Kunst­woll­rei­ße­rei und Putz­wol­le­fa­brik „S. Wolf & Co“ (Samu­el und Stel­la Wolf) befan­den sich noch in den 1930er-Jah­ren in jüdi­schem Eigen­tum. Der Wein­groß­han­del, der von der Fami­lie Simon Hacker (Erlach 69) betrie­ben wur­de, soll­te der ers­te jüdi­sche Han­dels­be­trieb des Ortes sein, der aller­dings bald von wei­te­ren, wie dem Schlacht­vieh­han­del des Fleisch­hau­ers Max Brück­ner (Erlach 27) und dem Gemischt­wa­ren­han­del von Max Hacker (Erlach 28), ergänzt wurde.

„Die For­schungs­er­geb­nis­se zu Erlach sind so viel­fäl­tig, dass es unzu­rei­chend wäre, um nur ein Bei­spiel zu brin­gen. Aller­dings ist für Erlach jeden­falls die jüdi­sche Fami­lie Simon ‚Jesa­ja‘ Hacker, die aus Kobers­dorf stamm­te, her­vor­zu­he­ben. War er es doch, der mit sei­ner Frau Rosa­lie ‚Sarl‘ spä­tes­tens ab den 1860er-Jah­ren in Erlach leb­te und dort einen Wein­han­del betrieb. 1875 erwarb Simon – inzwi­schen Vater von drei Kin­dern, Ber­ta, Leo­pold und Karo­li­ne – das Haus Num­mer 69 in Erlach“, so Sulzgruber

1895/96 errich­te Simon eine Syn­ago­ge an die­ser Adres­se. Dadurch ent­stand ein reges reli­giö­ses Leben in Erlach. Die jüdi­schen Bewoh­ner der Regi­on muss­ten nicht mehr den beschwer­li­chen Weg in die Syn­ago­ge von Wie­ner Neu­stadt oder Neun­kir­chen auf sich neh­men, son­dern kamen zum Got­tes­dienst oder zu den Fes­ten nach Erlach. Wie über­lie­fert ist, trug Simons Sohn Leo­pold Hacker die Ver­ant­wor­tung für die orga­ni­sa­to­ri­sche Arbeit, er hat­te die Rol­le des Vor­be­ters und blies bei­spiels­wei­se zum jüdi­schen Neu­jahrs­fest das Schofar.

Nach­dem Simon 1907 „nach einem arbeits­rei­chen, wahr­haft from­men Leben im Alter von 75 Jah­ren“, wie es in einer Todes­an­zei­ge heißt, ver­stor­ben war, führ­te sein Sohn Leo­pold – der mit Fran­zis­ka Wolf ver­hei­ra­tet war – die Fir­ma „Simon Hacker & Sohn“ wei­ter. Leo­pold Hacker und sei­ne Frau wur­den 1942 in The­re­si­en­stadt bzw. Treb­linka ermor­det und somit Opfer der Shoah.

Wirt­schaft­li­cher Aufbau

Die Geschich­te der Orts­ge­mein­de und ihr wirt­schaft­li­cher Auf­bau hän­gen untrenn­bar mit dem Namen Leo­pold Abe­les zusam­men. Der aus Böh­men stam­men­de Indus­tri­el­le hat­te 1841 in Roth­kos­te­letz (Cˇervený Kos­telec) ein Tex­til­un­ter­neh­men, eine mecha­ni­sche Baum­woll­spin­ne­rei, gegrün­det. Er kauf­te in wei­te­rer Fol­ge die bestehen­de Erla­cher Spin­ne­rei auf und bau­te sie in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts als Baum­woll­spin­ne­rei, Webe­rei (mit meh­re­ren hun­dert Web­stüh­len) und Tex­til­dru­cke­rei aus. In spä­te­rer Zeit war die Erla­cher Tex­til­in­dus­trie im Eigen­tum der jüdi­schen Fami­li­en Wolf und Chai­mo­wicz. Die jüdi­schen Indus­tri­el­len ver­such­ten, nach dem „Anschluss“ ihr Eigen­tum nicht zu ver­lie­ren. Hein­rich Chai­mo­wicz, der 1938 nach Kolum­bi­en aus­ge­reist war, gelang es, ein unge­wöhn­li­ches „Gentlemen’s Agree­ment“ mit der Gesta­po zu arran­gie­ren. Außer­dem ist für Erlach der außer­ge­wöhn­li­che Fall doku­men­tier­bar, dass sich ein Mit­glied der Fami­lie Wolf, Franz Georg Wolf, im Juni 1938 mit einem Brief von Erlach aus nach Ber­lin wand­te, sogar direkt an den Sekre­tär von Adolf Hit­ler, um den Eigen­tums­ver­lust durch die „Ari­sie­rung“ zu ver­hin­dern. Dies sind Fäl­le von Seltenheitswert.

For­schung geht weiter!

Soll­ten Sie Infor­ma­tio­nen über die jüdi­sche Bevöl­ke­rung in Bad Erlach, Kat­zels­dorf, Lan­zen­kir­chen, Schwar­zen­bach oder Wal­pers­bach haben, wen­den Sie sich bit­te an Dr. Wer­ner Sulz­gru­ber, Tel.: 0676/7366121 oder werner_​sulzgruber@​hotmail.​com.