Vor dem mög­li­chen Zen­trum des Pri­mär­ver­sor­gungs­netz­werks Wies­math: Bgm. Erich Ras­ner und Mari­len Rath­man­ner / Foto: Rehberger

„Jeder Mensch hat Poten­zia­le, die es zu ent­de­cken gilt“

von | Okt 11, 2018 | Archiv

Seit fast 20 Jah­ren steht Bun­des­rä­tin Son­ja Zwazl als Prä­si­den­tin an der Spit­ze der Nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Wirt­schafts­kam­mer. Wir spra­chen mit ihr über ihre Anfän­ge in einer män­ner­do­mi­nier­ten Unter­neh­mer­run­de, wie sie ihre Anlie­gen umset­zen konn­te und was jun­ge Men­schen brau­chen, um beruf­lich erfolg­reich zu sein. Und wir gin­gen der Fra­ge nach, ob Frau­en die bes­se­ren Unter­neh­mer sind.

Botin: Sie sind nicht nur Unter­neh­me­rin und Bun­des­rä­tin, son­dern seit fast 20 Jah­ren auch Prä­si­den­tin der Wirt­schafts­kam­mer Nie­der­ös­ter­reich. War das von Anfang an Ihr Ziel, die­se Funk­ti­on zu errei­chen bzw. wie ist Ihnen das gelungen?

Son­ja Zwazl: Das ist erst im Lau­fe der Zeit ent­stan­den. Prä­si­den­tin der Wirt­schafts­kam­mer, das ist ein Enga­ge­ment und ein Werk­zeug, um Anlie­gen umzu­set­zen. Auf­grund mei­nes Lebens­we­ges, als ich mich selbst­stän­dig gemacht habe, gab es natür­lich eini­ge Fra­gen. Ich bin zu Ver­an­stal­tun­gen der Wirt­schafts­kam­mer gegan­gen, weil es für mich als Unter­neh­me­rin wich­tig war. Ich woll­te etwas ler­nen. Damals war es schon so, dass Frau­en als Unter­neh­me­rin­nen Exo­ten waren. Und Frau­en, die sich bei Ver­an­stal­tun­gen auch noch zu Wort gemel­det haben, schon über­haupt. Ich war etwa bei einer Ver­an­stal­tung und habe drei Fra­gen gestellt, da hat man mich dann auf die Art „Sie haben schon mehr­mals gefragt“ abkan­zeln wol­len. Das habe ich mir aber nicht gefal­len gelas­sen. So hat mein Enga­ge­ment begonnen.

Botin: Von einer Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung der Kam­mer bis zur Prä­si­den­tin ist aber noch ein wei­ter Weg. Wie hat sich das ergeben?

Zwazl: Der Kam­mer­ob­mann in Klos­ter­neu­burg hat­te damals jun­ge Leu­te sehr geför­dert. So bin ich da „rein­ge­rutscht“. Ich freue mich sehr dar­über, dass ich die Chan­ce bekom­men habe, weil ich sehr vie­le Din­ge umset­zen konn­te. Ich habe etwa „Frau in der Wirt­schaft“ ins Leben geru­fen, weil ich das damals für wich­tig gehal­ten habe.

Botin: Wel­che beson­de­ren Bedürf­nis­se haben Frau­en in der Wirtschaft?

Zwazl: Einem Lie­fe­ran­ten oder Kun­den ist das völ­lig egal, ob ich Mann oder Frau bin. Als Frau ist es aber schon so, das ist his­to­risch so gewach­sen, dass man sich ver­ant­wort­lich fühlt für die Fami­lie und die Kin­der. Dass man von Part­ner­schaf­ten spricht, wo jeder 50 Pro­zent der Auf­ga­ben über­nimmt ist zwar nett, aber die Rea­li­tät schaut eben meis­tens anders aus. Da habe ich gesagt: Redet nicht immer nur dar­über, son­dern macht was. Ein Bei­spiel: Man bekommt ein Kind. Dafür haben wir die Betriebs­hil­fe ins Leben geru­fen, damit man 8 Wochen vor­her und 8 Wochen nach­her jeweils 40 Stun­den pro Woche eine Kraft kos­ten­los zur Ver­fü­gung gestellt bekommt. Ich habe das bei mei­nen Kin­dern nicht gehabt. Aller­dings habe ich als ich mei­nen jüngs­ten Sohn bekom­men habe, zufäl­lig auf einem For­mu­lar gese­hen, dass es das für Land­wir­te gibt. Also habe ich gesagt: Das brau­chen wir Selbst­stän­di­gen auch! So habe ich ange­fan­gen, das auf­zu­bau­en, mit Gleich­ge­sinn­ten, und so ist „Frau in der Wirt­schaft“ ent­stan­den. Ein ande­res Bei­spiel: Wir haben bei jedem WIFI einen Kin­der­gar­ten dabei. Weil Aus­bil­dung wich­tig ist. Und in der Zwi­schen­zeit wird das Kind gut beauf­sich­tigt. Am Anfang hat es gehei­ßen: „Ja, lasst sie halt machen, dann machen wir spä­ter eben einen Lehr­saal dar­aus.“ Heu­te wis­sen wir, dass das Ange­bot sehr gut ange­nom­men wird.

Botin: Man hat den Ein­druck, dass sie bei ihren Kam­mer-Kol­le­gen oft als „die Läs­ti­ge“ gal­ten, die man mal machen lässt, damit sie eine Ruhe gibt. Kommt man nur so wei­ter als Frau?

Zwazl: Das wich­tigs­te ist, Din­ge beim Namen zu nen­nen, ein­fach zu sagen, was Sache ist. Das ist auch heu­te noch so. Wenn jemand mit einem Pro­blem zu mir kommt, sage ich: Erzähl mir die Geschich­te, damit ich dein Pro­blem ver­ste­hen kann. Ich bin so erzo­gen wor­den, dass ich das, was ich mir den­ke auch aus­spre­che, dass man dem ande­ren zuhört und aus­spre­chen lässt und dass man sich für die Ideen, die man hat, nicht genie­ren muss. Mit die­ser Ein­stel­lung bekommt man aber auch viel zurück.

Botin: Was gefällt Ihnen an Ihrer Funk­ti­on bzw. an Ihrer Arbeit am besten?

Zwazl: Es moti­viert, dass man etwas umset­zen kann. Es geht um gegen­sei­ti­gen Respekt. Als Bei­spiel nen­ne ich die Sozi­al­part­ner­schaft, die bei uns am Land funk­tio­niert. Nicht weil wir immer einer Mei­nung sind, son­dern weil wir gegen­sei­tig akzep­tie­ren, dass es ande­re Mei­nun­gen gibt. Ich bin schon oft gefragt wor­den, war­um ich mir das antue. Aber ich sehe das anders. Ich tue mir nichts an, son­dern ich habe die Chan­ce, etwas ein­zu­brin­gen und dadurch füh­le ich mich pri­vi­le­giert. Ich kann sagen, was mich stört und gleich­zei­tig etwas dar­an ändern. Dazu ist es aber auch wich­tig, die Bedürf­nis­se des ande­ren zu kennen.

Botin: Sie sind zu einer Zeit Wirt­schafts­kam­mer­prä­si­den­tin gewor­den, als das Unter­neh­mer­tum noch sehr stark männ­lich domi­niert war. Wie ist es dazu gekommen?

Zwazl: Die­ser Umstand war ein Vor­teil für mich. Damals hat­ten schon noch sehr vie­le die Ein­stel­lung, Frau­en gehö­ren an den Herd. Ande­re haben sich hin­ge­gen für die­se unqua­li­fi­zier­ten Bemer­kun­gen geniert. Und die haben mich unter­stützt. Mir hat man auch eini­ges unter­stellt, unter ande­rem diver­se Ver­hält­nis­se. Das war nicht immer ganz ein­fach, ich habe es mir aber nicht gefal­len las­sen. Ein­mal bin ich bei einer Sit­zung beim Punkt „All­fäl­li­ges“ auf­ge­stan­den und habe gesagt: „Könn­te bit­te der­je­ni­ge auf­ste­hen, mit dem ich noch kein Ver­hält­nis hat­te, ich habe den Über­blick ver­lo­ren.“ Dann haben alle gelacht und nach­zu­den­ken begon­nen. Bei uns im Haus ist das heu­te kein The­ma mehr. Wir sind auch eine Orga­ni­sa­ti­on, die sehr vie­le Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen hat.

Botin: Wor­an liegt das Ihrer Mei­nung nach? An Vor­bil­dern wie Ihnen?

Zwazl: Ich glau­be schon. Wir haben eine gute Team­ar­beit und ich bin ein Mensch, der Din­ge anspricht. Auch wenn es nicht ange­nehm ist. Ehr­lich­keit ist wich­tig, aber ich will nie­man­den ver­let­zen. Und das wis­sen die Leu­te, mit denen ich arbeite.

Botin: Sind Frau­en ande­re Führungspersönlichkeiten?

Zwazl: Wenn sie dabei Frau­en blei­ben, ja. Man muss auten­tisch blei­ben. Als Füh­rungs­kraft hat man auch Schwä­chen und Feh­ler. Es geht in einem Team dar­um, dass jeder die Chan­ce hat, sich ein­zu­brin­gen. Was ich kom­plett ableh­ne, ist eine Obrig­keits­hö­rig­keit. Man muss Ein­stel­lun­gen und Ent­schei­dun­gen manch­mal akzep­tie­ren, das heißt aber nicht, dass man sein Hirn und sei­nen Cha­rak­ter abgibt. Wenn ich eine Mei­nung habe, dann habe ich sie.

Botin: Sie haben dau­ernd mit Fir­men­chefs zu tun. Gibt es da typisch weib­li­che und typisch männ­li­che Chefs?

Zwazl: Es geht in ers­ter Linie um die sozia­le Kom­pe­tenz. Die­ses hier­ar­chi­sche von frü­her ist nicht mehr der rich­ti­ge Füh­rungs­stil, das weiß man mitt­ler­wei­le. Es ist wich­tig, die Leu­te zu moti­vie­ren, sie ein­zu­bin­den und ihnen die Aner­ken­nung zu geben, die sie ver­die­nen. Das macht eine Füh­rungs­kraft aus. Natür­lich auch Ehr­lich­keit. Frau­en haben hier einen gewis­sen Vor­sprung. Viel­leicht ist es schon so, dass Frau­en gefühls­be­ton­ter sind. Das ist aber nichts Nega­ti­ves. Wenn mich etwas getrof­fen hat, dann will ich das anspre­chen und dazu ste­hen und nicht die Unver­wund­ba­re spie­len. Ich den­ke, dass Frau­en in die­ser Rich­tung ein biss­chen mehr Gefühl haben.

Botin: The­ma glä­ser­ne Decke: Brau­chen wir Ihrer Mei­nung nach mehr Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen und wie erreicht man die­ses Ziel?

Zwazl: Für mich ist es eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, Jung und Alt, Män­ner und Frau­en. Ich hal­te die­sen Mix für etwas ganz Wesent­li­ches. Als ich „Frau in der Wirt­schaft“ auf­ge­baut habe, habe ich mich immer gegen Ideen wie „Ban­ken für Frau­en“ oder „Frau­en-Bran­chen­ver­zeich­nis­se“ gewehrt. Das ist der fal­sche Weg, so wird die Tren­nung noch größer.

Botin: Wie passt dann der „Girls Day“ der Wirt­schafts­kam­mer dazu?

Zwazl: Der „Girls Day“ ist mei­ner Mei­nung nach über­holt. Es ist eine gute Initia­ti­ve, aber wir sind schon wei­ter. Daher gibt es den Bega­bungs­kom­pass, denn viel wich­ti­ger ist es, Talen­te zu ken­nen. Es gibt kei­nen Beruf, der nicht gro­ße Chan­cen eröff­net, wenn genau hier das Poten­zi­al des Ein­zel­nen liegt.

Botin: Wenn die Jugend­li­chen so weit sind, dar­über nach­zu­den­ken, wel­cher Beruf der rich­ti­ge ist, dann ist das für die Wirt­schaft schon ein wich­ti­ger Schritt. Das Pro­blem liegt ja dar­in, jun­ge Men­schen dazu zu bewe­gen, sich für einen Lehr­be­ruf zu ent­schei­den. Wie kann man die­se Ent­schei­dung erleichtern?

Zwazl: Genau des­halb hal­te ich den Bega­bungs­kom­pass für so wich­tig. Da wer­den auch die Eltern mit dem Poten­zi­al ihrer Kin­der kon­fron­tiert. Es wird ihnen ganz genau erklärt, wel­che Mög­lich­kei­ten und Chan­cen es gibt. Das ist oft ein Aha-Erleb­nis. Da haben wir die Mög­lich­keit, anzusetzen.

Botin: In der Buck­li­gen Welt gibt es seit eini­ger Zeit das Pro­jekt „Bil­dung wächst“ um schon bei den Kleins­ten eine neue Lern­kul­tur zu schaf­fen, damit jedes Kind sein Poten­zi­al ent­fal­ten kann. Was hal­ten Sie von die­ser Initiative?

Zwazl: Ich fin­de das Pro­jekt sehr gut, weil es eine Unter­stüt­zung ist. Wir wol­len kein Kind in eine bestimm­te Rich­tung drän­gen. Aber die Leis­tung der Fach­kräf­te muss in unse­rer Gesell­schaft einen ent­spre­chen­den Stel­len­wert haben. Alles, was uns umgibt, haben Fach­kräf­te gemacht. Dar­um ist uns allen der Kon­takt mit den Leh­rern so wich­tig. Weil sie sehr gro­ßen Ein­fluss auf die Kin­der haben und ihnen näher brin­gen, was Wirt­schaft bedeu­tet. Daher freu­en wir uns über jeden Kon­takt, den wir und die Wirt­schaft mit den Kin­dern und Jugend­li­chen in der Schu­le haben.