Foto: Steinbichler

Auf unserer Suche nach verborgenen Orten in der Buckligen Welt freuen wir uns immer über Tipps unserer Leserinnen und Leser! Über Aufrufe im Boten oder über Online-Medien haben uns schon einige Hinweise erreicht. Manchmal bekommen wir den Kontakt zum Eigentümer gleich dazu, manchmal müssen wir diese erst herausfinden. Dass sich aber jemand direkt und mit den Worten „Ich habe so einen besonderen Platz zu Hause … älter und recht einmalig für die Bucklige Welt!“ bei uns meldet, ist eher die Ausnahme. Dass wir uns diesen Ort nicht entgehen lassen, ist natürlich klar!

Die sogenannte „Mittermühl“ liegt auf halbem Weg zwischen Scheiblingkirchen und Gleißenfeld, umgeben von Bäumen, Feldern und Pferdekoppeln zwischen der Altenheimstraße und der Aspangbahn. Große Holzscheunen umgeben einen alten Hof, auf einem Stalldach sitzt ein kleines Türmchen als Merkzeichen in der Landschaft. Dass dieses idyllische Ensemble die mittlerweile dritte – zumindest nachweisbare – Nutzung erfährt und zu neuem Leben erweckt wurde, sieht man von außen nicht sofort. Deshalb haben wir die Pächter Erik und Christine Söllner besucht und neben schönen Bildern auch viel Wissenswertes über die Geschichte dieses Ortes mitgenommen.

Spurensuche nach den Ursprüngen der Mühle

Wie lange es die Mittermühl bereits gibt, ist nicht ganz klar, selbst die Gemeinde hat kaum Aufzeichnungen über ihre Historie. Die Hausnummer ist ein Indiz dafür, dass sie vor 1780 gebaut wurde. 


Auch in der Josephinischen Landesaufnahme, der ersten umfassenden Landkarte der Habsburgermonarchie, ist die Mittermühl bereits verzeichnet. In der Kartensammlung von „Österreich unter der Enns“, die zwischen 1773 und 1781 erstellt wurde, ist am heutigen Standort das u-förmige Gebäude mit einem Mühlrad eingezeichnet. Den von der Pitten abgeleiteten Mühlbach kann man auf jüngeren Karten, aber auch in der Landschaft noch nachvollziehen. Erik Söllner hat bei Bauarbeiten an einem Fundament eines Gebäudes, das vor 1850 gebaut wurde, einen zerbrochenen Mühlstein gefunden – er schätzt, dass er ca. aus dem Jahr 1770 stammen dürfte. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Mühle noch viel älter als 250 Jahre ist.

Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die Industrialisierung auch die bis dahin bäuerliche Bucklige Welt. Die Mittermühl wurde 1878 vom Industriellen Franz Burkhard erworben, der seit 1852 von Wiener Neustadt ausgehend sein Firmenimperium aufbaute. Die Papierindustrie wurde nach der Drahtstifte-Erzeugung zum zweiten lohnenden Sektor für Burkhard, und so wurde die Mittermühl in eine Holzschleiferei, wo Holz für die Papierherstellung zu Zellulose zerfasert wurde, und Pappenfabrik umgewandelt. Dies zog die Errichtung entsprechender Produktions- und Trocknungshallen und den Einbau einer 160-PS-Turbine zur Energieversorgung nach sich. Die „Pappendeckelfabrik“ in Gleißenfeld war rund 60 Jahre in Betrieb, bis sie vor Beginn des Zweiten Weltkriegs stillgelegt wurde. 

Die Gebäude und Flächen wurden danach landwirtschaftlich genutzt, um in der Kriegszeit die Versorgung aufzubessern. Nach 1949 wurde wieder produziert, und zwar bis 1975 gemeinsam mit einer Wiener Firma: Reißnägel und Briefklammern, später auch Heftklammern der bekannten Marke SAX. In der Chronik des Familienbetriebes Franz Burkhards Söhne kommt auf den letzten Seiten sogar ein ehemaliger Mitarbeiter, Josef Baumgartner aus Scheiblingkirchen, zu Wort. In einem Schreiben aus dem Jahr 1972 berichtet er von der Wiederaufnahme der Produktion, von der technischen Aufrüstung des Werks und vom Arbeitsalltag in der Herstellung der Büroartikel. 

Vom „Lost Place“ zum Bauernhof

Erik Söllner übernahm die Mittermühl im Jahr 2001, davor herrschte in den Gebäuden über 25 Jahre weitgehend Leerstand und Verfall. Über die Jahre und Stück für Stück hat er aus einem „Lost Place“ ein neues Zuhause gemacht. Vieles wurde renoviert, erneuert, umgenutzt: Aus den Papiertrockenhallen wurden Heustadeln, in einer ehemaligen Maschinenhalle wird nun „Wollhandwerk“ ausgeübt. Unter diesem Namen hat sich Christine Söllner der Wollverarbeitung verschrieben, gearbeitet wird auf zum Teil über 100 Jahre alten Maschinen. 

Von der Fabrik gibt es noch weitere Überreste zu sehen, wie die alte E-Zentrale mit Turbine und die Maschinen der SAX-Produktion. Rund um die Mittermühl bieten 10 Hektar Weiden und Felder nicht nur den Söllners, sondern auch ihren Tieren und 287 (!) dokumentierten Insektenarten ein naturnahes Lebensumfeld. Auf der biologisch und nachhaltig geführten Landwirtschaft wird Tierhaltung, Gemüse- und Obstanbau betrieben. 

Im Gegensatz zu manch anderem Ort, den wir hier vorstellen, ist ein Einblick in die Mittermühl demnächst möglich: Am 19. und 20. Oktober findet jeweils von 14 bis 18 Uhr ein „Tag der offenen Türen“ statt (Altenheimstraße 21, 2831 Gleißenfeld). Neben der bunten Vielfalt der heutigen Nutzungen gibt es zahlreiche landwirtschaftliche Geräte und alte Industriemaschinen zu entdecken, teilweise auch auszuprobieren. Alle Infos: www.mittermuehl.at.

Aufruf
Wenn auch Sie ein Gebäude mit Geschichte(n) in der Buckligen Welt kennen, erzählen Sie uns davon: redaktion@bote-bw.at.

Fotos: Steinbichler