Foto: Stein­bich­ler

Bei unse­rer Suche nach den „Lost Places“, his­to­ri­schen Orten der Regi­on, haben wir immer Gebäu­de im Auge, die eine beson­ders inter­es­san­te Geschich­te erzäh­len. Unser letz­ter Besuch führ­te uns nicht nur über die Gren­zen der Buck­li­gen Welt hin­weg zu einem weit und breit ein­zig­ar­ti­gen Bau­werk, son­dern auch in eine „ver­sun­ke­ne Welt“: in die seit 80 Jah­ren leer­ste­hen­de Syn­ago­ge der einst bedeu­ten­den jüdi­schen Gemein­de in Kobersdorf. 

Zuge­ge­ben: Kobers­dorf liegt im Bur­gen­land und damit nicht mehr in der Buck­li­gen Welt – wirk­lich weit weg ist es aber auch nicht. Und es gibt die eine oder ande­re Ver­bin­dung zu den nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Nach­barn, denn meh­re­re jüdi­sche Fami­li­en zogen im 19. Jahr­hun­dert von dort in Gemein­den der Buck­li­gen Welt. So wie Leo­pold und Johan­na Jaul, die in Wies­math ansäs­sig wur­den und dort ein Kauf­haus eröff­ne­ten. Dass die Ver­bin­dun­gen zu Kobers­dorf auf­recht blie­ben, darf ange­nom­men wer­den: Die Grä­ber der bei­den kann man heu­te noch auf dem stim­mungs­vol­len jüdi­schen Wald­fried­hof im Ort besu­chen.
Lorenz Glatz aus Wies­math hat die Geschich­te der jüdi­schen Fami­li­en und ihrer furcht­ba­ren Ver­trei­bung aus dem Ort recher­chiert und 2017 im berüh­ren­den Buch „Rei­sen zu ver­lo­re­nen Nach­barn“ fest­ge­hal­ten. Über­haupt ist die­ses The­ma nun­mehr bei den Men­schen in der Regi­on ange­kom­men: Ein wei­te­res Buch namens „Eine ver­sun­ke­ne Welt – Jüdi­sches Leben in der Regi­on Buck­li­ge Welt – Wech­sel­land“ sowie das Muse­um für Zeit­ge­schich­te im Hacker-Haus in Bad Erlach folg­ten heu­er.
Kobers­dorf – die sie­ben hei­li­gen Gemein­den
Die jüdi­sche Gemein­de in Kobers­dorf hat eine lan­ge Geschich­te: Nach der Schlacht bei Mohács 1526 zogen zahl­rei­che Juden auf der Flucht vor dem Osma­ni­schen Heer aus Ungarn bis ins Bur­gen­land. Unter dem Schutz der Fürs­ten Ester­há­zy (und gegen ent­spre­chen­de Zah­lun­gen) durf­ten sie sich im Bur­gen­land nie­der­las­sen und die „sie­ben hei­li­gen Gemein­den“ grün­den. Ab 1670 war Kobers­dorf neben Eisen­stadt, Mat­ters­dorf, Lacken­bach, Frau­en­kir­chen, Kitt­see und Deutsch­kreutz eine davon. Auch ein Bet­haus, die soge­nann­te Syn­ago­ge, gehör­te zu jeder die­ser Gemein­den, eben­so wie ein eige­ner Fried­hof. Wie groß und bedeu­tend die jüdi­sche Gemein­de in Kobers­dorf war, belegt eine Zahl aus dem Jahr 1860: 600 Ein­woh­ner, knapp 40 Pro­zent der Bevöl­ke­rung waren jüdi­schen Glau­bens, die übri­gen 60 Pro­zent teil­ten sich in katho­li­sche und evan­ge­li­sche Chris­ten. So wun­dert es auch nicht, dass in die­sem Jahr der Bau einer grö­ße­ren, reprä­sen­ta­ti­ven Syn­ago­ge not­wen­dig wur­de. Die­se wur­de an pro­mi­nen­ter Stel­le direkt gegen­über dem Schloss errichtet.

Ein­bli­cke in ein ein­zig­ar­ti­ges Gebäude

Typisch für die Zeit wur­de der Bau in neo­ro­man­ti­schen For­men gestal­tet. Vier Eck­pfei­ler tra­gen ein sphä­ri­sches Gewöl­be, ein Sat­tel­dach bedeckt den ehe­ma­li­gen Tem­pel. Form und Stil wur­den übri­gens knapp 20 Jah­re spä­ter beim Bau der Syn­ago­ge in Neun­kir­chen nahe­zu ident kopiert – eine wei­te­re Ver­bin­dung zwi­schen Kobers­dorf und (zumin­dest einer Bezirks­haupt­stadt) der Buck­li­gen Welt. Im Innen­raum der Kobers­dor­fer Syn­ago­ge ist noch die höl­zer­ne Frau­en­em­po­re erhal­ten, an den Mau­ern sind da und dort ein­zel­ne Inschrif­ten auf Hebrä­isch und Res­te der bun­ten Wand­ma­le­rei zu erken­nen. Ansons­ten ist von der Ein­rich­tung nichts übrig außer der Sockel des Tho­ra­schreins an der Ost­wand. Die Syn­ago­ge wur­de bald nach der Ver­trei­bung der jüdi­schen Kobers­dor­fer im Mai 1938 von den Natio­nal­so­zia­lis­ten geplün­dert, aus­ge­raubt und ver­wüs­tet. Anders als in den übri­gen sie­ben Gemein­den wur­de der Tem­pel nicht voll­stän­dig zer­stört, er wur­de bei Schlecht­wet­ter von der SA als Aus­weich­quar­tier für „Appel­le“ oder zum „Exer­zie­ren“ miss­braucht. Glück­li­cher­wei­se wur­de der Tem­pel auch in der Nach­kriegs­zeit nicht abge­ris­sen – die­ses Schick­sal ereil­te bekannt­lich den „Schwes­tern­bau“ in Neun­kir­chen noch im Jah­re 1984, nach­dem er bei den Novem­ber­po­gro­men 1938 eben­falls ver­wüs­tet wurde.

Im Ein­satz gegen das Vergessen

Heu­te ist die Syn­ago­ge in Kobers­dorf (abge­se­hen von einer Pri­vat­syn­ago­ge im Jüdi­schen Muse­um in Eisen­stadt) die letz­te, die im Umkreis der Buck­li­gen Welt erhal­ten blieb. Den Ein­blick in die­ses ein­ma­li­ge Gebäu­de und in die Geschich­te der jüdi­schen Gemein­de ver­dan­ken wir Erwin Hau­sen­stei­ner. Der pen­sio­nier­te Bau­meis­ter und ehe­ma­li­ge Bür­ger­meis­ter von Kobers­dorf wid­met sich schon seit den 1970er-Jah­ren der Geschich­te der jüdi­schen Bewoh­ner in sei­nem Hei­mat­ort. Damals war dies noch alles ande­re als selbst­ver­ständ­lich, die NS-Zeit und die Juden­ver­fol­gung waren noch lan­ge gro­ße Tabu­the­men.
Dass die jüdi­sche Gemein­de nach ihrer Ver­trei­bung und Ermor­dung nicht auch noch tot­ge­schwie­gen wird, war und ist Erwin Hau­sen­stei­ner ein wich­ti­ges Anlie­gen. Sein per­sön­li­ches Enga­ge­ment und sein gesam­mel­tes Wis­sen mün­de­ten im Buch „Die ehe­ma­li­ge jüdi­sche Gemein­de Kobers­dorf“.
Bei aller Tra­gik rund um die­ses The­ma gibt es aber gute Nach­rich­ten, die Hau­sen­stei­ner sehr freu­en: Die fast 80 Jah­re dau­ern­de Zeit des Leer­stands und des Ver­falls der Syn­ago­ge dürf­te vor­bei sein, das Land Bur­gen­land hat das Gebäu­de kürz­lich erwor­ben. Der­zeit wird mit der Revi­ta­li­sie­rung die­ses ein­zig­ar­ti­gen Kul­tur­gu­tes – mehr oder weni­ger im letz­ten Moment – begon­nen, die Syn­ago­ge somit als Monu­ment gegen das Ver­ges­sen erhal­ten bleiben.

Auf­ruf
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