Foto: Markus Steinbichler

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat die Industrialisierung ihre Fühler auch bis in die hintersten Winkel des Industrieviertels ausgestreckt. Vor 1900 entstanden dort, wo Wasserkraft und gute Verkehrsanbindungen vorhanden waren, Papier- oder Textilfabriken. Neben Ackerbau und Viehzucht war plötzlich Fabrikarbeit eine weitere Erwerbsmöglichkeit, in der Textilbranche vor allem auch für Frauen. Ein ganz besonderes Industriedenkmal aus dieser Zeit liegt gut versteckt im Wechselgebiet – und wird gerade von zwei Menschen mit einem Herz für alte Gemäuer zu „neuem alten Leben“ erweckt.

Bereits in unserem Februar-Lost Place haben wir die Firma „Meerkatz & Klein“ vorgestellt. Diese hat sich dem Handel mit historischen Baustoffen verschrieben und sammelt Bauteile aus alten Häusern, wenn diese abgerissen oder umgebaut werden. Auch der Baustelle im ehemaligen „Gasthaus zum goldenen Brunnen“ in Aspang hat der Betrieb aus Maiersdorf an der Hohen Wand alte Fliesen abgenommen und zudem die Rettung von zwei Jugendstil-Wandbildern in Aussicht gestellt. Dieser Kontakt hat uns unseren aktuellen „Lost Place“ beschert: Die alte Weberei in Trattenbach, die im Herbst 2019 von Alexandra Klein und Johann Meerkatz erworben wurde.

1888: Ein Bergdorf wird industrialisiert

Im Jahr 1888 kam die voranschreitende Industrialisierung auch im bis dahin abgelegenen Trattenbach am Fuße des Wechsels an: Die aus Böhmen stammende Unternehmerdynastie Mautner weitete ihr Firmennetzwerk aus und erwarb eine Holzschleiferei am Rande des Ortes, wo Holzschliff als Rohstoff für die Papiererzeugung hergestellt wurde. 1892 wurde der Betrieb von Isidor und Stephan Mautner ausgebaut und um eine mechanische Weberei mit 328 Webstühlen erweitert – der dreigeschoßige, zweiflügelige Industriebau mit den großen Sprossenfenstern entstand. Arbeiterwohnhäuser und eine Fabrikantenvilla rundeten das Werks-Ensemble ab. 

Maschinen-Starthilfe vom Philosophen

Über einen Besuch des berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein in der Textilfabrik weiß das Wittgensteinmuseum in Trattenbach zu berichten: Dieser wirkte von 1920 bis 1922 als Lehrer im Ort, bei einem Ausflug  mit seinen Schulkindern in die Fabrik stand eine Dampfmaschine still. Die Ingenieure waren ratlos, Wittgenstein – selbst ausgebildeter Maschinenbauer – griff etwas unorthodox ein: Er platzierte vier Arbeiter rund um die Maschine und ließ sie abwechselnd mit einem Hammer auf bestimmte Stellen schlagen, überraschenderweise mit Erfolg: Die Maschine begann wieder zu laufen.

Wirtschaftlich gesehen hatte der Textilbetrieb seine Höhen und Tiefen: Ab 1930 wechselten häufiger die Besitzer, das Jahr 1938 brachte die Arisierung des Betriebs mit sich, die Rückstellung an die Besitzer dauerte bis 1952, ein Jahr später wurde der Betrieb dann eingestellt. Von 1959 bis 1965 wurde in der Textilfabrik noch einmal produziert, danach wurde das Gebäude ganz unterschiedlich genutzt. 

Einer der Vorbesitzer hinterließ unter anderem die blitzblaue Karosserie eines Elektroautos, das hier in den 1980er-Jahren entwickelt wurde. Der Geschichte der Weberei sowie dem beruflichen und künstlerischen Wirken Stephan Mautners in Trattenbach bis hin zu seinem vermuteten tragischen Tod 1944 im KZ Auschwitz widmet sich ein großes Kapitel im Buch „Eine versunkene Welt. Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt – Wechselland“.

Von der Textilfabrik zum „General-Depot“

Interessant wird sich die nähere Zukunft des Gebäudes gestalten, denn mit Alexandra Klein und Johann Meerkatz haben sich neue Eigentümer mit viel Gespür für die Fabrik und ihre Geschichte gefunden. Sie sehen in der alten Weberei in erster Linie die einstige Arbeitsstätte – und genau das soll sie auch bleiben dürfen: Das his-
torische Bauwerk wird schon bald als „General-Depot und Kontor“ Arbeitsplatz der Firma „Meerkatz & Klein“ sein. Bis zum kommenden Jahr wird behutsam saniert, danach soll das für das Wechselgebiet einzigartige Industriedenkmal wieder aussehen wie um 1900.  

Auch interessierte Besucher werden künftig herzlich willkommen sein, einiges an Sehenswertem ist vorgesehen: Ein altes „Lokomobil“ – eine fahrbare Dampfmaschine – wird ausgestellt. Und, damit schließt sich der Kreis: Die beiden Wandbilder mit den „Jugendstil-Fleischern“ aus Aspang werden in der Weberei zu sehen sein.

Aufruf
Wenn auch Sie ein vergessenes oder historisch interessantes Gebäude mit spannender Geschichte in der Buckligen Welt kennen, erzählen Sie uns davon!
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