Südwest-Turm, Kasematten und „Neue Bastei“ / Fotos: Steinbichler (6), Rehberger (2)

Einmal im Jahr blicken die „Buckligen Zeitreisen“ über die Grenzen der Buckligen Welt hinaus, um anderswo spannende Orte zu entdecken. Dieses Mal ging es nicht allzu weit weg, nach Wiener Neustadt. Hier wurden die lange Zeit im Verborgenen schlummernden Kasematten 2019 zu neuem Leben erweckt. Behutsam revitalisiert und modern erweitert, öffnen die ehemaligen Befestigungsanlagen nun regelmäßig ihre alten Gewölbe für Kunst- und Kulturveranstaltungen.

Wiener Neustadt blickt auf eine lange und interessante Geschichte zurück: Ende des 12. Jahrhunderts erfolgte der Bau einer planmäßig errichteten Stadt auf dem Steinfeld. Von Beginn an war sie stark befestigt, umgeben von einer Stadtmauer auf annähernd quadratischem Grundriss. An den Verbindungsstraßen in alle vier Himmelsrichtungen gab es Tore und dazwischen Wehrtürme, die besonders an den Ecken sehr mächtig ausfielen.

Ursprünglich zur Stärkung der Grenze zum ungarischen Reich errichtet, erlangt die Stadt in den folgenden Jahrhunderten zunehmend an Bedeutung und wird Mitte des 15. Jahrhunderts unter Friedrich III. anstelle von Wien (und neben Graz) sogar zur Kaiserresidenz.

Im August 1487 beginnt eine fast zweijährige Belagerung durch den Ungarnkönig Matthias Corvinus, der die Stadt letzten Endes auch einnimmt. Dieser Vorfall und später die erste Türkenbelagerung Wiens im Jahre 1529 zeigen, dass die alten Befestigungsanlagen mit den neuen Eroberungsmethoden und -waffen wie schwerer Artillerie nicht mehr viel entgegensetzen können. Man entschließt sich zu einem Ausbau der Stadtmauer nach damals neuestem Stand des Festungsbaus.

Basteien und Kasematten: Die Stadt wird zur Festung

Nach italienischem Vorbild werden spitzwinkelige Basteien vorgelagert, die dem Beschuss durch Kanonen besser standhalten und eine Verteidigung der Mauerflanken ermöglichen. Rund um die Neustädter Burg werden solche Basteien und ein Kanonenrondell zur Verteidigung des südlichen Stadttors angelegt. Ganz besonders massiv wird von Festungsbaumeister Johann Tscherte die südwestliche Ecke der Stadtbefestigung ausgebaut: Rund um den mittelalterlichen Eckturm werden hier von 1551 bis 1557 die Kasematten errichtet – das Wort kommt vom italienischen Wort „casamatta“ für Wall- oder Festungsgewölbe.

Diese mächtigen unterirdischen „Röhren“ dienten zur Lagerung von Geschützen und Munition. Erschlossen wurde die weitläufige Anlage damals über ein bis heute von der Bahngasse aus sichtbares, prächtig gestaltetes Renaissance-Portal. Dahinter verbirgt sich die Strada Coperta, was mit „gedeckte Straße“ übersetzt werden kann. Durch diesen langen Gang werden die Kanonen aus den Gewölben in die Geschützhöfe der Basteien gezogen. Die Kasematten werden zwar sehr aufwendig errichtet, dennoch muss gespart werden. Und so wird der Bereich rund um das neue Schanzwerk nicht vollständig gemauert, sondern mit Erde aufgeschüttet. Das hat zudem den Vorteil, dass dieses Erdwerk feindliche Kanonenkugeln im Vergleich zu Mauern aus Stein oder Ziegel förmlich „schluckt“.

Die Festung bewährt sich in der Folge gegen Türken und Kuruzzen, verliert aber im 19. Jahrhundert – Wiener Neustadt liegt nunmehr im Herzen des Habsburgerreiches – zunehmend an Bedeutung.

Die unnütz gewordenen Basteien, Gräben und Vorwerke werden abgetragen, auf den nun freien Flächen die Beethovenallee und der Stadtpark angelegt. Auch die Kasematten werden für zivile Nutzungen freigegeben und der angrenzenden Brauerei als Lagerräume für Hopfen, Malz und Bier übertragen.

Dafür wird der ursprüngliche Boden abgegraben, wodurch die Fundamente der alten Stadtmauern aus der Zeit um 1200 zutage treten. An ihnen ist das sogenannte „Opus spicatum“ bemerkenswert – ährenförmig geschichtetes Mauerwerk nach römischem Vorbild. Während der starken Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg werden die Gewölbe als Luftschutzräume für Schutzsuchende genutzt. Später, bis in die 1970er Jahre, sind die Kasematten dann beliebter und legendärer Veranstaltungsraum für Jazz-Konzerte. Danach geraten sie für Jahrzehnte in Vergessenheit, liegen wortwörtlich unter dem Erdhügel im Stadtpark vergraben. Das ändert sich mit der NÖ Landesausstellung 2019.

Wiedergeburt als zeitgemäßer Ort für Kultur

Der österreichweit einzigartige Festungsbau wird wiederentdeckt und als Veranstaltungsort für „Welt in Bewegung“ spektakulär revitalisiert. Ein Architekturwettbewerb führt zum mehrfach preisgekrönten Projekt des slowenischen Büros Bevk Perović arhitekti. Die Gewölbe werden saniert, das Erdwerk rund um den Südwestturm abgetragen, wodurch die steinernen Befestigungsanlagen erstmals wieder in ihrem vollen Umfang sichtbar werden. Neben dem Renaissance-Portal an der Bahngasse wird ein modernes Besucherzentrum mit großem Vorplatz errichtet. Auf der Rückseite, im Bereich der ehemaligen Bastei und mit Blick in den Stadtpark, entsteht ein großer zeitgemäßer und vielseitig nutzbarer Veranstaltungssaal: die „Neue Bastei“. Glatter Sichtbeton, gerade Linien und ein zinnenförmiges Hallendach bilden einen Gegenpol zu den alten Mauern – und gleichzeitig auch stimmige Anknüpfungspunkte.

Die drei mächtigen Röhren der Kasematten werden nun für unterschiedlichste Veranstaltungen genutzt, auch für Hochzeiten ist man gerüstet. Eines der Gewölbe nimmt das Café „Das Tscherte“ auf, mit Gastgarten im Schatten der Wehrmauern und Blick ins Grüne. In der gesamten Anlage erzählt die Dauerausstellung „Die Stadt als Festung“ anhand historischer Schaustücke die Geschichte des Wehrbaus. Nicht nur deren Inneres, sondern auch das Kulturprogramm der Kasematten weiß zu beeindrucken: Noch bis 2. April findet „Europa in Szene“, das Theaterfestival der wortwiege statt. Am 14. April startet mit „Milch und Honig“ ein Festival für innovative Konzertformate. Dazwischen erwarten Besucher laufend Lesungen, Musik-, Theater- und Kabarettaufführungen. Alle Informationen dazu unter www.kasematten-wn.at.

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