Alter Reiseführer aus dem Jahr 1871 / Fotos (7): Markus Steinbichler

Schon lange wollte Markus Steinbichler für die September-„Botin aus der Buckligen Welt“ eine passende „Bucklige Zeitreise“ gestalten. Mit der Geschichte zweier interessanter Frauen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist dies heuer gelungen. Damals lebten zwei Einsiedlerinnen abgeschieden vom Getriebe der Welt um sie herum: Am Türkensturz zog eine Frau für viele Jahre in eine Höhle, um sich dort ungestört ihren Gebeten und Visionen zu widmen. Am Fuße des Hutwischs lebte die „Boardate Gretl“ allein und zurückgezogen tief im Wald.

Einsiedler oder Eremiten gibt es bereits seit mindestens dem dritten Jahrhundert. Damals zogen sich „Wüstenväter“ in die Einsamkeit zurück, um ungestört ihrem reinen Glauben nachgehen zu können. Es waren und sind Menschen, die sich mit ihrem Gedankengut oder ihrer Lebensweise aus eigenen Stücken in die Einsamkeit und vom Rest der Welt ganz bewusst verabschieden. Das Leben der Eremiten wurde oft mit der ursprünglichen christlichen Lebensform gleichgesetzt und war hoch angesehen. Später, in der Zeit der Romantik um 1800, wurden Einsiedeleien – meist einfache Holzhütten – als Gestaltungselement in die großen Parks von Schlössern gestellt. Noch heute gibt es Einsiedeleien, etwa eine Kapelle in einer Felswand oberhalb von Saalfelden.

Bei der Einsiedlerin vom Türkensturz

Nur wenigen dürfte die Geschichte der Einsiedlerin vom Türkensturz bekannt sein. Ist der markante Felsstock doch vielmehr für die Sage bekannt, die ihm seinen Namen gab: Eine türkische Streifschar zu Pferd verfolgte 1532 eine Frau durch den Wald. Auf dem Felsvorsprung angekommen, sprengten die Türken mit ihren Rössern auf sie zu. Die Frau sprang jedoch zur Seite, die Krieger stürzten mit ihren Pferden kopfüber in den Tod. Die markante (und unlängst zum Teil abgestürzte) Ruine an der Felskante ließ Fürst von Liechtenstein nach 1824 als Landschaftsschmuck errichten, um so an das Geschehene zu erinnern. Nördlich davon gibt es einen Felsvorsprung, der von einer Durchgangshöhle – der Einsiedlerinhöhle – durchlöchert ist. Wie diese zu ihrem Namen kam, berichtet eindrücklich F. C. Weidmann im Reiseführer „Alpengegenden Niederösterreichs und Obersteyermarks“ aus dem Jahr 1871:

Die Einsiedlerinhöhle

„An der Wand des Türkensturzes ist eine Höhle, schwer zugängig, aber bemerkenswert, weil sie seit 1834 einer Anachoretin als Wohnung diente. Diese Einsiedlerin, Katharina Perger, war 1801 in Pitten geboren. Sie diente früher als Magd in Wien, durchzog dann bettelnd die Kronländer und besuchte als Pilgerin die Schweiz und Italien bis Rom. In die Heimat zurückgekehrt, schlug sie dann ihre Wohnung in der oben erwähnten Höhle auf. Mehrmals von dort abgeschafft, und mit Schub in ihren Geburtsort zurückgebracht, kehrte sie trotz allen Verbotes immer wieder in die Höhle zurück, in welcher sie endlich von der Gemeinde Gleissenfeld geduldet ward, nachdem die Gemeinde Pitten einen Revers hinterlegt hatte, in Krankheits- oder Sterbefall für sie zu sorgen. Die Frau Fürstin von Liechtenstein, welche mit ihr, als einer unglücklichen Irrsinnigen, Erbarmen trug, beschenkte sie und ließ ihr zum besseren Schutze ein Vordach an die Höhle bauen. Ein ärmliches Bett auf nacktem Fels, eine Kleidertruhe und ein Wasserkrug war ihr ganzer Hausrath. In der Höhle ein Altar mit Goldflitter aufgeputzt. Sie erhielt von milden Spendern einen Kelch, eine Monstranz und Leuchter aus Pakfong (Anm.: Neusilber). Um aber jeden Mißbrauch zu verhüten, wurden diese Spenden mit Bewilligung der Geber in der Pfarrkirche zu Scheiblingkirchen in Verwahrung genommen. Sie sprach gerne von ihren Visionen, begehrte zwar kein Almosen, aber nahm es an.“

Das schwere Schicksal der „Boardatn Gretl“

Ungleich weniger wissen wir von einer zweiten Einsiedlerin, die einst in der Buckligen Welt lebte: Der „Boardatn (bärtigen) Gretl“ vom Hutwisch in der Gemeinde Hochneukirchen-Gschaidt. Das wenige, das wir wissen, wurde von Heimatforscher Markus Wieser zusammengetragen. Am Fuße des „Gipfels der Buckligen Welt“ gibt es ein mystisches Waldstück: Im Reimeckwald zwischen dem Hutwisch und dem Ort ragen weiße Quarzitfelsen aus dem dunklen Moos des Waldbodens, weshalb es hier auch „beim Weißenstein“ heißt.

Dieses Geheimnisvolle war vielleicht auch der Grund, warum hier um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Frau Zuflucht vor dem Rest der Welt suchte. Und sie hatte einen guten Grund, andere Menschen zu meiden. Die Einsiedlerin hatte einen dichten Bart – beinahe wie ein Mann – und wurde daher von allen nur „die Boardate Gretl“ genannt.

Wie sie wirklich hieß, wer sie war oder wo sie herkam, weiß man bis heute nicht. Sie lebte in einer Höhle, die eigentlich mehr einem Hohlraum unter einem der weißen Felsblöcke glich – damals gerade groß genug, um darin zu stehen.

Die „Boardate Gretl“ ernährte sich von Pilzen und allem, was der Wald ihr zu bieten hatte. Manchmal erbettelte sie sich auch auf den umliegenden Einschichthöfen ein wenig Milch oder andere milde Gaben.

Nach Hochneukirchen ging sie nie – vermutlich aus Scheu wegen ihres Aussehens. Irgendwann tauchte Gretl längere Zeit nicht mehr bei den Bauern auf und man fragte sich, was mit ihr los sei. Ein paar Hochneukirchner, die Gretls Unterschlupf kannten, hielten Nachschau. Dort fanden sie die Einsiedlerin tot in ihrer Höhle liegen.

Die Gegend dort nennt man bis heute „bei der Boardatn Gretl“, sogar ihre Höhle gibt es noch. Mittlerweile an der Ab-bruchkante einer Sandgrube gelegen, ist der Felsblock schon ganz eingesunken, sodass man kaum noch darunter gelangt. Sitzt man davor am Abgrund, mit Blick über die Buckel bis ins Burgenland, oder auf den luftigen Höhen des Türkensturzes und genießt die Ruhe ringsum, so kann man Gretls und Katharina Pergers Entscheidung, hier zu leben, vielleicht doch ganz gut nachvollziehen.